Nashörner stehen im Regen

■ Vor zehn Jahren begann mit dem Vorzeigeprojekt der „Kooperationsklassen“ die Eingliederung geistig behinderter Kinder in die Bremer Regelschulen. Doch auch in diesem Jahr fehlt wieder der nötige Platz dafür

„Eine Lösung, die den Namen Kooperationsklasse verdient, ist das nicht“, sagt Rolf Berger. Der Schulleiter der Integrierten Stadtteilschule an der Hermannsburg geht mit einigem Ärger ins neue Schuljahr. Und die Elternvertreter an seiner Schule haben jetzt erstmal gegen einen Vertreter der Schulbehörde eine Dienstaufsichtsbeschwerde eingereicht. Verschaukelt habe man sie, so ihre Klage. Für die Kooperationsklasse, die am Dienstag, den 15. September, als dritte Kooperationsklasse von behinderten und nichtbehinderten Kindern von der Grolland-Grundschule an die Hermannsburg wechseln wollte, werde gesorgt, habe er ihnen in einem persönlichen Gespräch versichert. Am ersten Ferientag sollten die Bauarbeiten für den nötigen Anbau beginnen.

Doch inzwischen neigen sich die Ferien dem Ende zu – von einem Neubau aber ist weit und breit nichts zu sehen. Für die fünf behinderten Schüler, die jetzt in die nächste Schulstufe an die Hermannsburg wechseln sollten, ist damit kein Platz in der Herberge: „Am ersten Schultag“, so Rolf Berger, würden sie zwar gemeinsam mit ihren 18 Mitschülern „auf der Matte stehen“ – einen Tag später jedoch müsse man sie wieder in die Grol-landschule abschieben.

Während sich Rolf Berger darüber „maßlos enttäuscht“ zeigt, winkt man bei der Bildungssenatorin ab: „An der Hermannsburg ist alles klar“, findet Sprecher Rainer Gausepohl, „die Kooperation wird stattfinden.“ Die Gremien in der Bildungs- und Finanzbehörde hätten zwar leider etwas länger gebraucht als geplant, um die drei Millionen locker zu machen, die von den behördlichen Bauplanern der BreHoch für die Neubauten in den Schulen am Willakedamm, Leibnizplatz und eben an der Hermannsburg veranschlagt wurden. Aber am 1. Februar 1999 würde der Bau fertig sein – einen früheren Termin habe es nie gegeben. „Natürlich wußten wir schon lange, daß die Bauarbeiten viel zu spät kommen“, bestätigt Schulleiter Berger. Nach der sechswöchigen Verzögerung aber müsse bezweifelt werden, daß seine Schüler zumindest nach einem halben Jahr Trennung in gemeinsame Klassenräume kommen. Nun müßten während des laufenden Unterrichts ganze Wände für den Umbau eingerissen und Flure neugelegt werden. Dabei sei es unangenehm genug, daß durch den Umbau zwar vier neue Räume für die Kooperationsklassen entstehen, zugleich aber 140 Quadratmeter Schulraum im alten Gebäude wegfallen.

„Die Akzeptanz fördert das nicht gerade“, urteilt die grüne Bürgerschaftsabgeordnete Lisa Wargalla, im vergangenen Dezember habe die Situation noch rosiger ausgesehen. Über ihr Schulkind ist sie direkt mit jener berühmten Nashornklasse verbandelt, die sich schon vor zwei Jahren ihre ersten Kooperationsklassen-Räume in der Hermannsburg nur mit Hilfe von viel Kulturprominenz eroberte. Inzwischen sind die Nashörner in der achten Klasse, eine zweite Kooperationsklasse hat auch noch Platz gefunden. Für die dritte Generation aber brauchte man nun dringend den Erweiterungsbau.

Doch es fehlte am nötigen Kleingeld. Bewegung sei in die Verhandlungen gekommen, so Lisa Wargalla, als im Dezember '97 Dr. Hübotter mit seiner Wohnungsbaugesellschaft und einem ungewöhnlichen Vorschlag ankam: Wir übernehmen die Umbauten am Willakedamm und am Leibnizplatz und bauen für die dort schon bewilligten drei Millionen Mark auch gleich noch die vier Klassenräume an der Hermannsburg dazu. Mit diesem Angebot ging Bildungs-Staatsrat Hans-Henning Zietz Anfang dieses Jahres zum Bremer Eigenbetrieb BreHoch und dort sagte man ihm nach einigem Nachdenken: Na gut, das können wir auch. Damit stand Hübotter im Regen. Und die neuen Schüler an der Hermannsburg bekommen nun – sehr zögerlich – eine Sparversion seines Planes realisiert. Kein Einzelfall, findet Ursula Gallenkamp-Behrmann, Leiterin der Sonderschule Am Wandrahm. Seit zehn Jahren begleitet sie das deutschlandweit einzigartige Bremer Projekt der Kooperationsklassen. Damals vor zehn Jahren habe die Integration geistig behinderter Schüler in die Regelschulen begonnen, aber „jedes Jahr neu war auch der Ärger, daß die Baumaßnahmen für die Kooperationsklassen nicht fertig wurden.“ Inzwischen sind im Einzugsbereich ihrer Sonderschule rund 100 geistig behinderte Kinder in 21 Kooperationsklassen an drei verschiedenen Grundschulen untergebracht, werden dort gefüttert, gewickelt, sondiert, bekommen Unterricht im Kochen, Waschen und nehmen immer wieder am ganz normalen Schulunterricht teil. Eigentlich funktioniere das Projekt, findet Ursula Gallenkamp-Behrmann. Im elften Jahr des Integrationsprojektes könne sie ihre Sonderschule Am Wandrahmbald schließen – die letzten Schüler gehen nun. Zeitgleich ist die erste Kooperationsklasse – am Horner Vorkapsweg – in der Sekundastufe II angelangt. Fast ein Grund zum Feiern. Doch dazu ist in der Schule an der Hermannsburg keinem so richtig zumute. ritz