Das Portrait: Ein Kastenloser zu Besuch in Bonn
■ Kocheril Raman Narayanan
Präsident Kocheril Raman Narayanan, der heute den offiziellen Teil seines Besuchs in Deutschland beginnt, verkörpert wie wenige andere die Errungenschaften der indischen Demokratie. Denn ohne die Hilfe demokratischer Institutionen wäre es ihm nicht gelungen, den langen Weg aus dem Kastenlosen-Ghetto in einem kleinen Dorf im südindischen Kerala bis zum repräsentativen Prunk des Präsidentenpalastes in der Hauptstadt Delhi erfolgreich zurückzulegen.
Es war allerdings nicht nur dieser egalitäre Trend im hierarchieversessenen Indien, der ihm den Weg ebnete. Narayanan war schon als Junge besessen vom Lernen, und er ließ sich nicht davon abhalten, im Freien dem Unterricht zu folgen, wenn er wegen seiner Kastenlosigkeit den Schulraum nicht betreten durfte. Es war zweifellos seine Intelligenz, mit der er sich Zugang zu Stipendien und höheren Lehranstalten erzwang und die ihn zuerst Lehrer, dann Journalist werden ließ.
Narayanan hatte auch Glück. Ein Stipendium für die London School of Economics brachte ihn in Kontakt mit Harold Laski, der den jungen Mann seinem Freund Jawaharlal Nehru empfahl, worauf ihn der Premier- und Außenminister in den auswärtigen Dienst aufnahm. Bereits auf seinem ersten Posten in Birmas Hauptstadt Rangun lernte er seine spätere Frau Tint Tint kennen. Schließlich wurde er zuerst Botschafter in Peking, dann in Washington.
Dazwischen pflegte Narayanan seine akademische Lehrtätigkeit und wurde Rektor der Prestige-Universität in Delhi. Zweifellos besaß er damals auch das richtige Parteibuch – das der regierenden Kongreß-Partei. Dreimal hintereinander wurde er als Abgeordneter von Kerala ins Parlament gewählt. Rajiv Gandhi machte ihn zum Wissenschaftsminister, anschließend zu seinem Vizeaußenminister. 1992 wurde er vom Parlament zum Vizepräsidenten des Landes gewählt und fünf Jahre später zum Präsidenten – der erste Kastenlose in dieser bisher von Brahmanen beherrschten Position.
Die Vielfältigkeit der Karriere Narayanans befähigen ihn dazu, als oberster Repräsentant seines Landes zu wirken. Die allgemeine Achtung, die er dabei genießt, zeigt, daß er die Vielfalt und Heterogenität Indiens politisch und persönlich zu vereinen weiß. Bernard Imhasly
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