: Götterbote für den Exporthandel
■ Mit Steuergeld sichert und fördert die Bundesregierung Exporte in finanziell unsichere Länder. Kritiker nennen die Folgen von Hermes-Bürgschaften "grotesk" - auch in Rußland
Hamburg (taz) – Das deutsche Finanzrisiko im Handel mit Rußland ist begrenzt: Auf eine Summe von 19,6 Milliarden Mark beziffert das Wirtschaftsministerium die aufgelaufenen Hermes-Bürgschaften für Exporte in das kriselnde Land. Als mögliche Belastung des Bundes 1998 und 1999 nennt Hermes weiterhin „knapp sechs Milliarden DM“. Wer aber ist Nutznießer solcher staatlichen Bürgschaften? Kritiker befürchten, die Falschen.
„Hermes fördert jedes normale Exportgeschäft“, sagt ein Sprecher des Unternehmens. Hermes ist eine Tochter der Allianz AG und Europas größter Kreditversicherer. Um an eine Bürgschaft zu kommen, stellen Exporteure einen Antrag bei dem Versicherer, der die Unterlagen sichtet, aufbereitet und nach Bonn sendet. Dort entscheidet ein Ausschuß verschiedener Ministerien unter Federführung des Wirtschaftsministeriums über Ablehnung oder Annahme. Die Kriterien der Förderungsliste sind vage. Deutlicher sind die Negativkriterien, laut denen Hermes nicht für Waffenexporte in Krisenregionen bürgt. Allerdings fallen weder die Türkei noch Indonesien in diese Kategorie. Wird aber zum Beispiel der Antrag eines Rußlandhändlers akzeptiert, beginnt Hermes mit dem Frankfurter Wirtschaftsprüfer C&L Deutsche Revision AG, die Bonität des Antragstellers zu prüfen.
Die ökonomische Neutralität der Hermes-Bürgschaften deckt sich nicht unbedingt mit ihren Auswirkungen auf die betroffenen Menschen. „Wir kritisieren das weitgehende Fehlen von ökologischen, sozialen und friedenspolitischen Kriterien“, sagt Heike Drillisch von der Organisation Weltwirtschaft, Ökologie und Entwicklung (Weed). So würde für das slowakische Atomkraftwerk Mochovce weiterhin eine Hermes- Bürgschaft bestehen, obwohl nicht sämtliche Sicherheitsauflagen erfüllt worden seien. Ein Beispiel für die laxe Sozialprüfung durch das Wirtschaftsministerium sei der in Bau befindliche Drei-Schluchten- Staudamm in China, für den eine Million Chinesen umgesiedelt werden müßten. Auch dort sichern Hermes-Bürgschaften die deutsche Beteiligung.
Das Bundesfinanzministerium verweist derweil auf eine Erklärung zu „Umwelt und Exportkrediten“, die kürzlich in einer OECD-Arbeitsgruppe verabschiedet worden sei. Allerdings zielt diese lediglich auf die wirtschaftliche Risikobewertung von Umweltaspekten. Weitergehende Standards sollten in internationalen Gremien wie der Welthandelsorganisation (WTO) angesiedelt werden: „Eine isolierte Änderung des Systems unserer Exportkreditversicherung ist ein ungeeigneter Ansatz“, sagte Finanzstaatssekretär Jürgen Stark.
In diesem Jahr stehen Hermes 1,5 Milliarden Mark für längerfristige Handels- und Kredittransaktionen mit Rußland zur Verfügung. Dazu kommen etwa 0,7 Milliarden Mark für die grundsätzlich unbegrenzten Kurzfristgeschäfte. Allerdings werde das mögliche Hermes-Volumen dieses Jahr nicht wie bislang voll genutzt werden, teilt das Unternehmen mit. Daher könnten Großunternehmen gar nicht gegenüber Mittelständlern begünstigt werden, wie Kritiker befürchten. Vielmehr würde nach dem Prinzip vergeben: „Wer zuerst kommt, mahlt zuerst.“
„Grotesk“ nennt Wirtschaftswissenschaftler Jörg Huffschmid die Wirkung der Hermes-Bürgschaften für Rußland: „Alle möglichen Waren werden mittlerweile abgesichert.“ So werde der an sich unsinnige Export von Weizen und Eiern aus Deutschland erst über Hermes-Bürgschaften möglich, sagt Huffschmid. Ohne Hermes hätten viele Nahrungskonzerne das wirtschaftliche Risiko gescheut. Im Ergebnis sichere der staatliche Gläubigerschutz eine groteske Marktstrategie ab: Zwischen 70 und 90 Prozent der gesamten russischen Nahrungsmittelversorgung bestünden aus Westimporten – auch dank des deutschen „Götterboten“ Hermes. Hermannus Pfeiffer
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen