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Von der Rückkehr des „Männeken Piß“

Die lange, aufregende und schließlich erbauliche Geschichte eines Brunnenstreits in Bremerhaven vom Schauplatz des Geschehens mit höchster Sorgfalt rapportiert von unserem ehrwürdigen Fishtown-Nuntius  ■ Hans Happelius

Es war einmal ein Brunnen in Fishtown, der stand 15 Jahre lang im Zentrum der Stadt, und manchen Leuten stand er von Anfang an im Weg. Der Brunnen war einmal, denn wo er bis in die ersten Augusttage stand – nämlich direkt vor dem Portal des Bremerhavener Stadttheaters –, zeugen nur noch hellere Flecken auf dem Straßenpflaster von seiner Existenz.

Weil eine Koalition aus CDU und AfB es so wollte, ist in Bremerhaven mitten in den Sommerferien eine Skulptur verschwunden, die 1983 von den Berliner Künstlern Peter de Longueville und Barner von Sartory für diesen Platz entwickelt worden war: ein Brunnen aus zwei grob behauenen, vier Meter hohen Granitsäulen. Zwischen ihnen konnte eine Wasserwand hochgefahren werden, deren Tropfen vom Wind wie ein freier Schleier auf die Vorübergehenden verteilt wurde. Zu dem Wasservorhang vor dem Theater gehörte eine flache Plattform und eine mehrere Meter lange Abflußrinne, die von einigen älteren FußgängerInnen als Stolperfalle betrachtet (und von manchen auch am eigenen Leibe als solche erfahren) wurde. Um weitere Knochenbrüche zu vermeiden, hatte die Stadt deshalb nach empörten Leserbriefen in der örtlichen Tageszeitung ein Geländer vor die Rinne gesetzt. Alle schienen sich mit dem anstößigen Stein-Mal ausgesöhnt zu haben, und jugendliche Skater nutzten die Plattform inzwischen besonders gerne bei gut besuchten Theaterpremieren.

Mit Vollgas zurück zum wilhelminischen Kitsch

Da kam die CDU auf die Idee, ihre letzten Wählerreserven zu mobilisieren, indem sie – kurz vor den Bundestagswahlen – das Pflaster vor dem Stadttheater von den lästigen Felsbrocken befreien ließ. Mit Hilfe der AfB, die ihrem Namen „Arbeit für Bremerhaven“ offenbar Beine machen wollte, wurde der Abriß direkt vor der Sommerpause im Stadttheater durchgesetzt. Das Ergebnis ist eindeutig: Weg mit dem zeitgemäßen Brunnen, mit Volldampf zurück in den wilhelminischen Kitsch.

Denn der Beschluß, das Neue plattzumachen, wurde von Gralshütern einer ästhetischen Kehrtwende mit einem besonderen Clou verbunden: Kaum war die tonnenschwere Granitplastik verschwunden, wurde wenige Meter direkt neben dem Theater ein altes Brünnlein aufgestellt, das 1952 beim Wiederaufbau des zerstörten Musentempels im Wege stand. Eine sieben Meter lange Wand aus grauem Muschelkalk, leicht gebogen und um einen vergoldeten Bronzeknaben, der in beiden ausgestreckten Ärmchen einen Fisch hält und vor lauter Freude in ein kleines Becken pißt.

Die pubertäre Geste eines Amtsleiters

Das tuffige Präsent hatte der Hamburger Kaufmann Ludwig Krüder 1914 der Heimatstadt seines Vaters vermacht, die er unbedingt für verschönerungswürdig hielt. Damals gab es Einwände gegen den Standort. Dem pinkelnden Knaben mußte eine öffentliche Bedürfnisanstalt weichen. Erst nach einer Zählung der Toilettenbenutzer waren die Bedenken seinerzeit ausgeräumt. Die Steine des „Krüderbrunnens“ wurden seit seinem Abriß anno 1952 zwischengelagert. Ein Drittel der Quaderblöcke ging im Lauf der Zeit verloren, ebenso das Knäblein (Fishtown-Jargon: „Männeken Piß“), nach dem die CDU in öffentlichen Suchaktionen seit drei Jahrzehnten vergeblich fahndet. Gerüchten zufolge soll es in die Kellerbar eines damaligen Würdenträgers gewandert sein.

1994 hatte ein Gartenbauamtsleiter die vorwitzige Idee, die noch vorhandenen Brunnen-Reste in einem rostenden Metall-Regal öffentlich auszustellen: Ausgerechnet vor dem mit Steinputten und Nymphen bestückten wildromantischen Gartenpark der Gebrüder Thiele, mitten in Bremerhavens sozialem Brennpunkt Leherheide, in dem jede schöne Ecke Nährwert hat. Anwohner und Gäste empfanden das Rost-Regal als Verschandelung. Die Kosten (30.000 Mark) und die Art der Mittelbeschaffung wurden von der CDU zum Skandal hochgeredet. Das gestrenge Ausrufezeichen der Moderne mit seiner Ästhetik des Häßlichen war die pubertäre Geste eines intellektuellen Amtsleiters. Seine trotzig-verbissene Kampfansage an die Freunde der gefälligen Idylle mobilisierte die konservativen Kunstmuffel erst recht.

Jetzt haben sie im Kulturkampf mitten im Zentrum der Stadt Fakten geschaffen und den Theaterplatz unübersehbar besetzt. Aber die Plattwalz-Posse droht für CDU und AfB zum schmerzhaften Bume-rang zu werden: 324.000 Mark hatte der Longueville-Brunnen vor 15 Jahren gekostet. Circa 60.000 Mark kostete sein Abriß, und 180.000 Mark der Neuaufbau des „Krüder-Brunnens“ mit einer Kopie des verschwundenen Knaben.

Protest kam von allen Seiten. Nicht nur von der SPD, die endlich einmal kostenlos ins Kunsthorn blasen konnte, auch von der Industrie- und Handelskammer, von den EinzelhändlerInnen und von den beiden Hauptsponsoren der Granitplastik, der Städtischen Sparkasse und der Gemeinschaft „Unser schönes Bremerhaven“. So kommt es plötzlich ans Licht: Nicht alle Fishtownköppe wollen sich als provinzielle Gartenzwerge verspotten lassen.

Ein Glück für die Stadt: In unmittelbarer Nähe des Theaters erhebt die moderne Kunst schon wieder ihr gefährliches Haupt. Der in New York lebende Exil-Russe Ilya Kabakov will noch in diesem Herbst in Bremerhaven letzte Hand an das von ihm entworfene Auswandererdenkmal legen. Seine poetische Kapelle entsteht direkt vor dem Gebäude, wo einst die Auswanderer auf den letzten Schritt nach Amerika warteten. Sie soll ein Ort der Meditation werden, sie wird – nebenbei – zur Ohrfeige für die, die nicht wissen, was sie tun. Vielleicht ist Fishtown doch noch zu retten.

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