: Verwerter und Hervorbringer
Wenn aus Künstlern Urheber werden: In Berlin tagt der 41. CISAC-Weltkongreß und erörtert Fragen des Urheberrechtsschutzes für das digitale 21.Jahrhundert ■ Von Jörg Magenau
Wenn Banker zusammentreffen, sprechen sie angeblich über Kunst. Wenn Künstler zusammentreffen, sprechen sie über Geld. Wenn aber Kulturfunktionäre zusammentreffen, dann geht es mindestens um das nächsten Jahrtausend und um weltumspannende „Visionen“. Ausgerechnet hier, unter Gremienhengsten und Verwaltungsspezialisten, überwintert die Utopie das Zeitalter des Post- utopismus scheinbar unbeschadet. Doch es ist zweifelhaft, ob man sich darüber freuen soll.
Die „Vision“ des 41. Weltkongresses der CISAC, des internationalen Dachverbandes der Urheberrechtsgesellschaften, der heute in Berlin zuende geht, formulierte CISAC-Präsident Reinhold Kreile recht trocken so: „Wir wollen solide Fundamente legen für dauerhafte Konstruktionen der Urheberrechtsordnung und der kollektiven Rechtewahrnehmung, die in der digitalen Informationsgesellschaft des 21. Jahrhunderts den Urhebern weltweit jenen Schutz bieten, den sie gewohnt sind und auch künftig verdienen.“ Im Klartext geht es dabei vor allem um die fortschreitende Verrechtlichung und Kommerzialisierung der Nutzungsmöglichkeiten des Internet und um wirksamen Schutz für Raubkopien von CDs.
Die CISAC, zu der deutscherseits die GEMA, die VG Wort und die VG Bild-Kunst gehören, versteht sich als „Hüter der existentiellen Basis der Kulturschöpfer unserer Welt“ und damit als „Hüter der kreativen Freiheit“. Große Worte. Weltweit repräsentiert der Verband mehr als eine Million Komponisten, Autoren, Künstler und Musiker, die hier alle auf einen Nenner gebracht werden und bloß noch „Urheber“ heißen. Was sie da urheben ist ganz egal, solange es nur verwertbar ist. Kunst – das ist das Befremdende an Veranstaltungen wie diesem CISAC-Kongreß, wo sich 600 grauhaarige Herren in grauen Anzügen in einem sterilen Edelhotel versammeln – erscheint nur noch als Quantität und ökonomischer Nutzwert. Oder aber in Form der nichtdigitalen Pickelhaubenblasmusikkapelle, die zur deutschrepräsentativen Begrüßung aufmarschierte.
Doch den Ton geben in der CISAC die sogenannten Verwerter an, die die „individuellen Setzungen“ bzw. „kreativen Hervorbringungen“ der Künstler verdinglichen und vertreiben. Da die Urheber zumeist mit Pauschalverträgen abgegolten werden und sowieso nur Bruchteile des Erlöses erhalten, haben die Verwerter das größere und dauerhaftere Interesse an einem lückenlos funktionierenden Urheberrechtsschutz. Schließlich tragen sie das ökonomische Risiko, das Herstellung und Vertrieb eines Produktes bedeutet. Sie klagen besonders laut über die modernen „Piraten“ und digitalen „Räuber“. Fünf Milliarden Mark Verlust seien der Musikindustrie allein 1997 durch Raubkopien und unlizensierte Nutzung im Internet entstanden, klagte Klaus Eierhoff von Bertelsmann. 80.000 illegale Musikproduktionen seien 1997 im Internet gezählt worden. Es gebe „urheberrechtsfeindliche Länder“ – und werde sie noch lange gebe. Was also tun, wenn ein Provider seinen Server in so einem Land stehen hat?
Hier, so lautet die stereotype Formel, „ist die Politik gefragt“. Und weil dem so ist, muß unentwegt bekräftigt werden, daß mehr auf dem Spiel steht als die eigenen ökonomischen Interessen. „Kunst ist immer individuelle Setzung; Kultur dagegen kollektive Spannung“, formulierte sehr präzise der Komponist Wolfgang Rihm in einer beachtlichen Festrede, die den Delegierten den weiten Horizont und die historische Mission ihres Wirkens erst so recht deutlich vor Augen führte. „Autorenschaft ist die Grundlage von Kultur“, sagte Rihm. Der schöpferischen Tätigkeit verdanke der Mensch seine Einzigartigkeit und Freiheit. „Ich will nicht so weit gehen, deren Schutz als eine Form des Artenschutzes zu bezeichnen. Aber in der Fähigkeit zur Autorschaft erkennt der Mensch sich selbst in seiner Eigenart.“
Angesichts von so viel Sinnstiftung und Arbeit am Überbau wollten auch die geladenen Politiker nicht zurückstehen und bekannten sich emphatisch zum Schutz der Urheber und ihrer Rechte. Bundespräsident Roman Herzog lobte während eines Empfangs im Schloß Bellevue, „daß sich die CISAC in der Wahrnehmung von Autorenrechten nicht nur defensiv als Institution begreift, die eine künstlerische Existenz wirtschaftlich absichern hilft, sondern daß sie offensiv die letztlich entscheidende Bedeutung künstlerischer Kreativität als eines weltweit gültigen kulturellen Faktors unterstreicht“. Und Kultursenator Peter Radunski bezeichnete den Schutz des geistigen Eigentums als „eines der vornehmsten Probleme, die zügig gelöst werden müssen“.
In der Rede des Staatsministers Anton Pfeifer wurde jedoch deutlich, daß die Unterstützung der Politik keineswegs selbstlos ist, sondern auf den politischen Nutzwert der Kultur setzt. Kultur habe, so Pfeifer, dafür gesorgt, daß „die Einheit der deutschen Nation als Kulturnation“ über die Jahre der deutsche Teilung verteidigt werden konnte. Kultur habe nach 1990 dazu beigetragen, „das wiedervereinigte Deutschland ohne Brüche, gleichsam organisch in die außenpolitische Tradition der alten Bundesrepublik zu stellen“. Und schließlich gewinne die Gesellschaft ihr Selbstverständnis „nicht nur als Industriegesellschaft, sondern auch als Kulturgesellschaft“.
So vereinen sich im Urheberrecht auf wundersame Weise die Interessen von Wirtschaft und Politik mit denen des einzelnen Künstlers als geheimnisvollem „Epizentrum“. Nur die „Endverbraucher“ dürften nicht so glücklich sein, wenn sie im 21. Jahrhundert für jede Internetinformation werden bezahlen müssen.
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