: Rhetorisch versiertes Jammern
Kassenärztliche Vereinigung will bei Medikamenten nicht sparen müssen ■ Von Heike Haarhoff
Am besten, man stirbt gleich. Denn die dringend nötigen, aber teuren Medikamente, die Herz-Kreislauf-Beschwerden, Magen-Darm-Leiden und Krebs-Erkrankungen heilen, zahlen die Krankenkassen künftig sowieso nicht mehr. Abschminken können sich rückenleidende PatientInnen bald auch die Aussicht auf ein kuscheliges Plätzchen auf der Fango-Matte oder einen Kranken-Masseur und seine wohltuenden Schlachterhände. Dieses Schreckensszenario zeichnete gestern Michael Späth, Chef der Kassenärztlichen Vereinigung Hamburg (KV), in der die 3000 Kassenärzte der Hansestadt zusammengeschlossen sind.
Der Grund seiner Besorgnis: Die Verhandlungen der Kassenärzte mit den Hamburger Krankenkassen für ein Arznei-, Verband- und Heilmittelbudget für die Jahre 1997 und 1998 „drohen zu scheitern“. Die Kassen, klagte Späth, wollten das Budget für die beiden Jahre „um mehr als 14 Prozent“ senken. Das bedeute, „daß die Kollegen draußen massiv einsparen müssen“. Im Klartext: Sie müßten, um mit ihrem Budget auszukommen, weniger Medikamente verordnen, und das gehe zu Lasten der gesetzlich versicherten PatientInnen. Andernfalls – also bei einer Budgetüberschreitung – zahlten die Ärzte die nicht genehmigten Zusatzkosten aus eigener Tasche. „Unhaltbar, unverantwortlich“ und „schlimm“ findet Späth diese „Bestrafung“ seiner KollegInnen. Pflaster und Verbände gebe es künftig wohl überhaupt nicht mehr auf Rezept.
Die Theatralik des rhetorisch versierten KV-Chefs bedeutet in Zahlen: Sollten sich die Krankenkassen mit ihren Sparplänen durchsetzen, würde das Budget, das 1996 auf 832 Millionen Mark pro Jahr festgesetzt worden war, um 120 Millionen Mark gekürzt. „Das ist nicht aufzufangen“, so Späth. Denn: Operierte PatientInnen würden immer früher aus den Krankenhäusern entlassen. „Das bedeutet, daß anschließend die Arznei- und Arztkosten im ambulanten Bereich ansteigen.“ Und: „Innovative und sehr effiziente Medikamente“, die bei der Behandlung von Krebs unerläßlich seien, verzeichneten einen „dramatischen Preisanstieg“. Zugegebenermaßen seien Medikamente in der Bundesrepublik im internationalen Vergleich „überproportional teuer“, doch stehe er, Späth, „machtlos“ der Pharma-Industrie gegenüber. Fazit: „Höchstens über vier Prozent Budget-Absenkung“, lasse er mit sich reden.
Die AOK Hamburg und der Verband der Angestellten-Krankenkassen/ Arbeiter-Ersatzkassen-Verband (VdAK/AEV) wiesen die Kritik als „Panikmache“ und „aufs schärfste“ zurück. Die Versorgung mit Arznei- und Heilmitteln sei nicht gefährdet. Im übrigen liefen die Budget-Verhandlungen noch; ein Kompromiß werde gesucht.
Bisher sei das Budget immer unterschritten worden. So seien von den 1996 vereinbarten 832 Millionen Mark nur 730 Millionen Mark ausgegeben worden, was einer Unterschreitung von 13 Prozent entspreche. „Die vereinbarte Budgetgrenze ist mehr als ausreichend“, folgern sie. Die Absenkung begründen sie überdies mit den „Neuordnungsgesetzen“, nach denen PatientInnen seit 1997 für ihre Arznei- und Heilmittel mehr selbst zuzahlen müssen. Dieser Anteil sei „selbstverständlich“ von der bisherigen Budgetsumme abzuziehen. In allen anderen Bundesländern verzeichneten die Kassen Einsparungen aufgrund der höheren Zuzahlungen, nur in Hamburg nicht. „Aus medizinischen Gesichtspunkten“ sei das nicht erklärbar. Die Ärzte müßten daher ihre Verordnungsweise überprüfen.
Die leidigen Verhandlungen werden fortgesetzt. Bei Nicht-Einigung entscheidet das Schiedsamt.
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