Bastelarbeit auf hohem Niveau

■ Kurz vor der Bundestagswahl schieben SPD-Senatorinnen ein riesiges Ausbildungsprogramm für 3.000 Jugendliche an. Konzept ist nebulös, Werkzeug nicht vorhanden, der Starttermin nicht zu halten. Fragwürdiger Ch

Das Füllhorn öffnet sich rechtzeitig zur Bundestagswahl. 3.000 Jugendliche sollen doch noch eine Ausbildungsstelle bekommen und nebenbei 84 Arbeitslose eine ABM-Stelle erhalten. Für den Erfolg des Projekts bürgt die Vereinigung der Unternehmensverbände mit ihrem guten Namen. Morgen stellen SPD-Schulsenatorin Ingrid Stahmer und Peter Haupt, Staatssekretär bei SPD-Arbeitssenatorin Christine Bergmann, das „bundesweit bislang einmalige Programm“ vor.

Warum die Hetze? Anläßlich der neuesten Arbeitslosenstatistik erklärte Senatorin Bergmann kürzlich: „Wahlkampf-ABM bringen keine Wende am Arbeitsmarkt.“ Nun ist ihr eigenes Projekt mit der heißen Nadel gestrickt. Der Starttermin am nächsten Mittwoch läßt sich nicht halten, weil die meisten Ideen bisher nur in den Köpfen der Organisatoren, nicht aber in Wirklichkeit existieren.

Das renommierte Bildungswerk der Wirtschaft (BBW), ein Ableger der Unternehmensverbände, hat extra eine GmbH gegründet, die das Projekt organisiert. Zwar erklärt GmbH-Geschäftsführer Karl-Heinz Velten, bis zum Beginn mehrerer Ausbildungsmaßnahmen seien nur noch „Details“ festzulegen. Doch dem scheint nicht so zu sein – Velten tappt ziemlich im dunkeln. Mit der Fachgemeinschaft Bau, die die mittelständischen Baubetriebe vertritt, steht er nach eigenen Worten „in Gesprächen“. Einen Vertrag über die Ausbildung und die Stellenzahl auf dem Bauhof der Fachgemeinschaft konnte er bislang aber nicht abschließen. Die Finanzierung ist ungeklärt. Nicht nur der Start am 16. September erscheint deshalb unrealistisch. Selbst ein Beginn im Oktober „macht ziemliche Schwierigkeiten“, schätzt Wolfgang Rüger, Geschäftsführer der Fachgemeinschaft. Der Experte empfiehlt, im Interesse der Jugendlichen doch mehr Ruhe walten zu lassen.

Auch in der Schöneberger Geneststraße, wo die GmbH ihre Zentrale unterhält, existieren bislang offensichtlich keine Voraussetzungen für die geplanten Ausbildungsplätze. Dort sind zwar leere Werkstatträume vorhanden, doch nach Veltens Angaben werden sie zur Zeit renoviert. Und Maschinen gibt es noch nicht.

Auch die berufsvorbereitende Freizeitbetreuung der zukünftigen Azubis durch die 84 ABM-Kräfte liegt im argen. Karl-Heinz Velten kann lediglich zwei Ideen nennen: „Ich muß das alles mal zu Papier bringen.“ Erstens sollen die Jugendlichen nachmittags „Bastelarbeiten auf höherem Niveau“ durchführen, indem sie alte, gespendete „Kajütboote“ mit Solarantrieben ausrüsten und später damit über die Berliner Gewässer schippern. Zweitens denkt Velten an ein rollendes „Internet-Café“ in einem Doppeldeckerbus. „Wir wollen nicht alles vorgeben, sondern die Kreativität der Jugendlichen nutzen“, entschuldigt sich der GmbH-Geschäftsführer für den rudimentären Planungsstand.

Wegen des Durcheinanders sind mehrere ABM-BewerberInnen inzwischen wieder abgesprungen. Sie hatten den Eindruck, daß der GmbH der Durchblick fehlt, welche Aufgaben sie eigentlich übernehmen sollen.

Das Hauruckprojekt ist Teil eines größeren Programms, das Senatorin Bergmann, Bundesfamilienministerin in spe, kürzlich vorstellte. Für 28 Millionen Mark jährlich sollen 8.000 Jugendliche ohne Ausbildungsplatz in den Genuß einer Berufsvorbereitung und zusätzlicher Pratika kommen. Das Ganze nennt sich „MDQM“, was keine römische Jahreszahl ist, sondern „modulare duale Qualifizierungsmaßnahme“ heißt.

Ob sich die SPD-Senatorinnen mit Karl-Heinz Velten die richtige Person ausgesucht haben, steht dahin. Vor einem Jahr wurde der Geschäftsführer aus einer ähnlichen Position beim Bildungsträger „Internationaler Bund“ abgewickelt, wie der dortige Betriebsrat weiß. Velten sei für den wirtschaftlichen Zusammenbruch eines riesigen Ausbildungsprojektes „mit verantwortlich“, weil er angesichts abnehmender öffentlicher Zuschüsse weiter auf Expansion setzte. Hannes Koch