: Respekt, Springschwanz!
■ „Insekten! Die heimlichen Herrscher“ – Eine übermannsgroße Gottesanbeterin betet im ehemaligen Postamt 5 für das Image alles Kribbelnden und Krabbelnden
Unter uns: Noch schöner und lustiger wäre sicherlich eine Ausstellung von lauter auf Nadeln gepieksten, sorgfältig beschrifteten Insektenforschern. Schon weil Insektenforscher (Entomologen) so überaus süß und verschroben sind. Aber auch die Ausstellung „Insekten! Die heimlichen Herrscher“, die ab heute im ehemaligen Postamt 5 am Hauptbahnhof zu sehen ist, muß als instruktiv und sehenswert gelten. Schon weil hier eine Reihe von süßen und verschrobenen Insektenforschern endlich einmal die Gegenstände ihrer stillen Begeisterung herzeigen.
Vielleicht kann man sich ja in Löwen hineinversetzen. Zur Not auch noch in Erdkröten. Das Imageproblem der Insekten dagegen – sie gelten landläufig als stechend, saugend, huschend, pestilent, Landstriche kahlfressend, fies und knackend, wenn man drauftritt – beruht nicht zuletzt auf ihrer geringen Größe. Darum hat Ausstellungsmacher Woite, Bauch & Partner (stadtbekannt nach der Dinosaurier- und der Walausstellung) einige Insekten als übermannsgroße ruckelnde Roboter ausgestellt, die erschreckenderweise auch noch infernalische Laute von sich geben. Dieser Krach soll besagen, daß sogar Insekten Töne von sich geben.
Spielberg-mäßige Roboter finden Wissenschaftler unwissenschaftlich und Erwachsene scheußlich. Nur Kinder finden es nachweislich toll, wenn sich quakend eine riesige Gottesanbeterin hochreckt und segnend ihre Greifarme ausbreitet. Mal knurrt auch eine sehr sehr fette Schmetterlingsraupe. Dann brummen gewaltige schwarze Hirschkäferartige im Zweikampf um eine Frau. Dadurch wirkt die ganze Ausstellung erfreulich un-, sogar antimuseal. Und das, obwohl auch Kästen voller aufgepiekster Schmetterlinge und Blätter voller Insektenzeichnungen aus dem Überseemuseum aushängen. Das ist schon mal eine Leistung.
Doch die Leistung der Insekten – so lautet die Botschaft der Ausstellung, die ausdrücklich mehr „Respekt“ für das kleine Gekrabbel und Gefleuche verlangt – ist noch unendlich mal größer! Betrachten wir nur die rohen Zahlen: Zum Beispiel wuseln in einem Quadratmeter Ackerboden bis zu 50 Millionen Springschwänze herum. Auch stimmt, daß es bis zu 20 Millionen Arten (ARTEN!) von Insekten gibt. Der Bonner Entomologe Christoph Esch, der die Ausstellungsmacher wissenschaftlich beraten hat, kennt einen Kollegen, der in Afrika einen einzelnen Baum erforscht. Auf diesem einen Baum entdeckt er pausenlos neue Insektenarten! Und was sagt man erst zu diesem Vergleich: Legt man alle Ameisen und Termiten dieser Welt auf eine Waage, wiegen sie mehr als alle Menschen zusammen!
Insektenforscher stecken voller Geschichten, die normalerweise niemand hören will. Im alten Postamt werden nur ein paar erzählt. Zum Beispiel die von den blinden Hawaii-Kleinzikaden. Da klopfen Männchen und Weibchen auf Pflanzenwurzeln und schicken sich intime Nachrichten! (Vielfach verstärkt dürfen wir mithören und sitzen dabei auf einem vibrierenden Stuhl, der den Körperschall überträgt.) Meist beschließt ein Insektenforscher irgendwann einmal, ein Tierchen am entzückendsten zu finden. Herr Esch etwa bevorzugt die Schlupfwespe, die ihre Eier in lebendige Tiere legt. Eine Subspezies legt ihre Eier in die Eier der Schlupfwespe. Und nur in die Eier einer Schlupfwespe, die ihre Eier in die Eier einer Schlupfwespe gelegt hat, legt ein weiterer Spezialist seine Brut. Auch faszinierend: Daß Glühwürmchen sich über die Blinkfrequenz verständigen, daß Schaben mit 80 Zentimetern pro Sekunde huschen, daß Ameisenlöwen ihre Opfer mit Sandkörnern beschmeißen, daß afrikanische Treiberameisen eine Front von 30 Zentimetern bilden und alles auffressen, was nicht bei drei auf den Bäumen ist, daß Ameisenarten Sklaverei und Pilzzucht im Keller kennen. Beängstigend: Bei 20 Millionen Insektenarten findet sich vermutlich für jedes menschliche Verhalten eine Analogie.
Eine Spezies gibt es allerdings, für die muß sich niemand einsetzen. Die umgaukelt uns in einem schwülwarmen Raum voller Grünpflanzen und setzt sich vielleicht sogar auf unsere Schulter. Schmetterlinge sind auch toll! BuS
Geöffnet Mo. - Fr. 9-18, Sa. u. So. 10-18 Uhr. Eintrittspreise: 12.-/Kinder 7.-
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