: Kunst und Schule sind schön
■ Ohne Geld, mit Jochen Gertz: Semestereröffnung an der HfbK
Drei Monate nach dem regulären Ablauf ihrer Dienstzeit eröffnete am Dienstag die Präsidentin Adrienne Göhler das Wintersemester an der Hochschule für bildende Künste. Aufgrund der erfolglosen Anfechtung zahlreicher Formalien hatten ihre Gegner paradoxerweise diese Amtszeitverlängerung erreicht. Die Neuwahl findet jetzt am 9. November statt.
Die Präsidentin stellte ihre fast durchweg schlechten Nachrichten unter den Titel „Zeiten der Unruhe“. Die finanzielle Ausstattung von Studenten und Schule schrumpft existenzgefährdend. Nicht einmal jede zweite vakante Professorenstelle kann wieder besetzt werden, und wenn die Finanzbehörde in den laufenden Gesprächen nicht nachbessert, sind für Ende nächsten Jahres nicht einmal mehr die Gehälter gesichert. Falls diese Austrocknung der Kunst zu einem „heißen Herbst“ bei den Studenten führe, könne sie das gut verstehen.
Gastredner war Jochen Gerz, der in Hamburg zur Zeit mit der Klang-installation Hierophanien No. 2 im Michel zu hören ist. Seit der von ihm durchgeführten Versenkung des Harburger Mahnmals gegen den Faschismus ist Gertz so etwas wie ein Fachmann für das Verschwinden geworden. Nun ließ er als erstes das angekündigte Thema verschwinden. Statt „Über die Liebe, über die Zuwendung, über den Verlust als Gabe“ zu sprechen, stellte er seine Rede unter das Motto „Drinnen vor der Tür“ und lotete darin die heutige Lage des Künstlers aus.
Die Kunstkonkurrenz sei erdrückend, der Schrei nach Bewegung übermächtig. Das „Neue“ sei kein tauglicher Begriff mehr und der „Ursprung“ genauso Fiktion wie der „Autor“. „Das Meer der Namen verschlingt die Schiffchen der Erinnerung“ (Gerz). Aber wie sollte denn auch die Kunst ein letztes Paradies sein, für die die Regeln der restlichen Welt nicht gälten? Das hehre Schild „Autonome Kunst“ am Eingang dieses Reservates, so Gertz, sei ausgangsseitig mit dem verachtenden „Triviale Welt“ beschriftet: beides unbrauchbare Qualifizierungen.
Aber jammern gilt bei Gertz nicht. Der Künstler werde statt dessen keine andere Funktion haben wie der Betrachter, er werde, an welchem Objektfeld auch immer, pluralistisch und interaktiv arbeiten. Der Gralssuche zu widerstehen, dem eigenen Frust und dem Größenwahn, legte Jochen Gerz den Künstlern ans Herz. Ziel sei es vielmehr, möglichst ähnlich der Realität bescheiden für den anderen zu arbeiten. Dabei als spezieller Handwerker eine Obsession für die Objekte zu entwickeln und nicht auf die Zeit, die ferne Zukunft des Ruhms, zu setzen. Vor allem soll der angehende Künstler die Schule nicht als eigene Welt betrachten: Sie sei zwar gemütlich durch Heizung und vertraute Kollegen, doch wer sie für die Welt hält, werde bald den Käfig in ihr erkennen.
Gerz schloß mit einem ungewohnten Ethos: „Wir sind schön, komme, was da wolle. Denn wir, die Kunst, die Schule haben eins gemeinsam: wir wollen dienen.“ Ob die Gesellschaft das in Zeiten schwindender Ressourcen honorieren kann? Hajo Schiff
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