Die faulen Sozialdemokraten greifen an

■ SPD-Parteizeitung „Vorwärts“ druckt Futuristen-Pamphlet für ein würdevolles Leben ohne Arbeit

Zwei Wochen vor der Bundestagswahl veröffentlicht die SPD- Parteizeitung Vorwärts jetzt die lange erwartete inhaltliche Zuspitzung des Wahlprogramms von Kanzlerkandidat Gerhard Schröder. Am Freitag kam das im Kreuzberger Willy-Brandt-Haus produzierte Blatt mit einem Text der Arbeitsgruppe „Futuristen – Phantasten“ in der SPD heraus. Die Gruppe um Parteimitglied René Talbot setzt sich kritisch unter anderem mit dem Wirtschaftskonzept der Parteiführung auseinander. „Wir beschreiben die Richtung, in die die Macht sich weiterentwickeln soll“, sagt Talbot, dessen Gruppe bislang nur in Schöneberg existiert, jedoch die bundesweite Ausdehnung anpeilt.

Die Futuristen analysieren, daß ihre Partei zunehmend „auf den neoliberalen Westerwellen“ reite und sich „konservativen Positionen annähere“: „Steuersenkung, Abbau des Sozialstaates, Arbeitszwang, Lauschangriff“. Der Redaktion des Vorwärts schwante wohl, daß man ihr „zwei schlimme Seiten“ anbot, wie ein Redakteur sagt. Zur Veröffentlichung im redaktionellen Teil war sie deshalb nicht bereit, worauf die Futuristen einen Anzeigenplatz kauften. Nun kommen die bundesweit rund 900.000 SPD-Mitglieder doch in den Genuß der Zukunftsthesen.

René Talbot und seine MitstreiterInnen legen die Axt an mehrere Pfähle des sozialdemokratischen Gedankengebäudes. Während Schröder auf das Prinzip „Made in Germany“ setzt und mit einer weltweiten Exportoffensive hiesige Jobs sichern will, machen sich die Futuristen tiefergehende Gedanken. Es habe keinen Sinn, „jeden Unsinn“ herzustellen und zu finanzieren, heißt es. So gehen die Dissidenten beim Thema „Arbeit“ zum Generalangriff über. Auf Schröders Versuch, ein Bündnis für Arbeit zu organisieren, antworten die Futuristen: Ein Leben ohne Arbeit könne auch ganz schön sein. Freizeit fördere nämlich die „Lebensfreude und die Libido“. Ihre Folgerung lautet demnach, die Gesellschaft solle ein würdevolles „Leben ohne Arbeit bezahlen“, anstatt immer Jobs zu subventionieren.

Damit befinden sich die SPD- Futuristen in deutlicher Nähe zu den Glücklichen Arbeitslosen – jener Gruppe, die von Berlin aus angetreten ist, in ganz Europa die protestantische Arbeitsethik zu unterminieren. Wie diesen geht es Talbot und Co. um die Anerkennung der Faulheit als Vorbedingung für sinnvolle Tätigkeiten jenseits der geknechteten Arbeit in Büros und Pommesbuden.

Ein hochrangiger Berliner Genosse hat bereits reagiert. Zwar könne er nicht zur Gründungsparty der Futuristen im Willy- Brandt-Haus kommen, doch hofft Umweltsenator Peter Strieder, daß die Thesen „zur Zukunftsfähigkeit“ der SPD beitrügen. Politologe Wolf-Dieter Narr äußerte sich kritischer. Erstens wolle er nicht kommen und zweitens habe der Reformversuch der Futuristen in der SPD ähnliche Chancen wie die Suche nach „Wasserfällen in der Wüste“. Hannes Koch

12.9., 20 Uhr, Wilhelmstraße 140