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Dem Morgenrot entgegen

Der uruguayische Badeort Punta del Este, wo der argentinische Jet-set ein und aus geht, die Mittelschicht mitfeiert und Diego Maradona mit „Maradona“ prostet  ■ Von Ingo Malcher

Wenn in die Salons im Paris der Zwanziger einer durch die Türe stolperte, der den französischen Rotwein literweise hinunterkippte, mit Champagner duschte, sich vom Kellner die Spezialitäten der Küche auffahren ließ, nach dem Nachtisch leicht rülpste und vier Prostituierten zugleich an den Busen grapschte, dann sagte man in Paris, er sei reich wie ein Argentinier. Das Land am Rio de la Plata, in dem sich europäische Einwanderer aus Spanien, Italien und Frankreich etabliert hatten, boomte dank des Exports von Weizen und Rindfleisch. Damals wurde den reichen Argentiniern, die es sich in den Salons von Paris gutgehen ließen, nachgesagt, sie hätten auf ihren Europareisen stets eine Kuh dabei, um jeden Tag frische Milch zu trinken.

Wer heute in Argentinien Geld hat, fährt nicht nach Paris, sondern nimmt die Fähre oder den Flieger über den Rio de la Plata ins uruguayische Punta del Este – gut 140 Kilometer nördlich von Montevideo gelegen. Die Straßen der Halbinsel Punta del Este gleichen einem Defilee der teuren europäischen Autohersteller, und die Ferienhäuser lassen jede Art von Understatement vermissen. Man zeigt, was man hat.

In „Punta“, wie Insider den Ort nennen, geben sich die Argentinier mit dickem Geldbeutel besonders in den Ferienmonaten Januar und Februar ein Stelldichein, um Sonne zu tanken. Zur Perón-Zeit flüchteten die Reichen nach Punta, um ihr Geld in Sicherheit zu bringen, richtig voll wurde es aber erst in den 70ern, als die Ruta 12 fertiggestellt wurde, die Schnellstraße, die Punta mit Montevideo verbindet. Danach kam auch die argentinische Mittelklasse auf den Geschmack und kehrte – sehr zum Leidwesen des Geldadels – ebenfalls in Punta ein. Und das kostet: Unter 90 Dollar ist kein Hotel zu bekommen, und was Punta in dieser Preisklasse zu bieten hat, sind bestenfalls schäbige Absteigen mit Zimmern von den Ausmaßen eines Sandkastens. Die Matratze liegt auf einem Brett, es gibt keine Handtücher, und das Frühstück beschränkt sich auf eine Tasse Kaffee mit zwei Stücken trockenen Gebäcks. Die Restaurants kassieren Preise, wie sie für Feinschmeckerrestaurants der höheren Kategorie übblich sind, nur stimmt das Essen nicht.

Doch die hohen Preise haben ihre Logik. Denn in Punta ist nur an drei Monaten des Jahres Saison: Dezember, Januar und Februar, schon im März ist weniger los, bevor dann im April niemand mehr kommt. Mittelklassefamilien packen den Sommerurlaub auf die Kreditkarte und zahlen ihn während des ganzen Jahres über ab. Zu Recht stöhnen sie über die astronomischen Preise auf der Halbinsel und beschweren sich über alles andere auch: das Verkehrschaos, die kleinen Portionen, die brennende Sonne und das zu kalte Wasser. Ferienhäuser im Grünen sind nur für wenige erschwinglich: Je nach Anspruch und Lage bieten die Makler ein Haus für 5.000 bis 25.000 Dollar pro Monat ihren Kunden an.

Wer nach Punta kommt, gehört dazu, meint man in Argentinien. Dafür sorgt der Medienrummel. Sämtliche Tageszeitungen und Fernsehkanäle haben ihre Punta- Crew hier abgestellt und berichten täglich aus dem Badeparadies. Die Daheimgebliebenen wissen daher alles, wer mit wem und warum. Das alljährliche Sommertheater kann auf eine hochrangige Besetzung zählen. Neben der argentinischen Finanz- und Politikerkaste reisen auch schon mal arabische Ölscheichs und Adelige aus Europa an, wenn auch die Reichen und Schönen aus Argentinien die Halbinsel fest in ihrer Hand haben. Auf dem von dem Architekten Carlos Ott neugebauten Flughafen von Punta del Este parkt ein Privatjet neben dem anderen.

Ein neues Hotel mit Casino wurde dieses Jahr eingeweiht, das erste Hotel mit internationalem Niveau, meinen viele. Es sieht von außen aus wie eine Satellitenstation, rechte Winkel wurden mit Rundbögen gemixt und zu einem Gebäudeklotz zusammengezimmert. 180 Millionen haben sich die Besitzer den Prunkbau kosten lassen. Dank des verläßlichen Bankgeheimnisses in Uruguay wird in Punta viel Schwarzgeld aus Argentinien gewaschen. Bankfilialen vor Ort übernehmen den Transfer nach Punta, das Geld fließt dann in Wochenendhäuser, Yachten oder andere Projekte. Ohne Bauplan werden Hochhäuser aus dem Boden gestampft, eins neben dem anderen, selbstverständlich mit Meerblick.

In Punta ist Party all the time. Tagsüber am Strand, nachts in den Bars und Discotheken. Wer in Punta dazugehören will, der geht nicht an irgendeinen Strand, sondern der muß sich am „Bikini- Strand“ zeigen. Hier liegen die Models und Schauspieler, die Fernsehstars und bekannten Unternehmer. Fotografen für Klatschblätter und Kameramänner von Boulevard-Fernsehkanälen stehen sich hier gegenseitig im Bild. Wenn die Sonne untergeht, wird der knappe Bikini mit dem „kleinen Schwarzen“ getauscht, der 60jährige Fernsehmoderator läßt sich in La Barra, dem Amüsierviertel, mit einer glänzenden schwarzen Hose blicken, und Diego Maradona streift sich über die Jeans einfach ein rotes, kurzärmeliges Seidenhemd.

In den Discotheken „La Morocha“ und „La Barra“ versammelt sich in der VIP-Lounge alles, was Rang und Namen hat: Valeria Mazza tanzt zusammen mit Eva Herzigova. Aus den Boxen hämmern die Cumbia-Gassenhauer. Feiern ist in Punta Programm. In der Bar des Zeitgeistblatts Planeta Urbano heißt der „Drink der Nacht“ „Maradona: Weißer Rum und Blue Curaçao“. In Mode ist im „Planeta Urbano“ ein überteuertes trockenes Sushi, Durchfall im Preis inbegriffen. Aber das nimmt man gerne in Kauf, denn wann haben wir das letzte Mal Gelegenheit gehabt, mit dem echten, leibhaftigen Diego Maradona mit „Maradona“ anzustoßen? Plötzlich stürzt eine Horde Fotografen herein und belagert einen Tisch, auf dem die Tochter des TV-Helden Bernardo Neustadt sitzt und nichts anderes macht, als Sushi zu essen. Ein Blitzgewitter bricht los, wenige Minuten später ist alles wieder vorbei, doch jetzt wissen alle, daß sie da ist.

Die Nacht geht in Punta nicht vor zwölf los und endet nicht vor dem Morgenrot. Bis drei Uhr ist Essen und Trinken in Läden wie „Planeta Urbano“ oder „Pizza Juliá“ angesagt – dröhnend laute Musik zu mittelmäßigem Essen. Punkt drei leeren sich die Bars, und alles marschiert zum Tanz. „La Morocha“, „El Coyote“ und die traditionelle Disco „Space“ gelten als Muß. Sie sind fest in der Hand des argentinischen Jet-set.

Im „Aquabarra“ bläst ein bemühter Discjockey zum Angriff auf einsame Frauen, als müßte man es den Männern nochmal extra sagen. Ein weiteres ungeschriebenes Gesetz des Nachtlebens von Punta ist, daß Mädchen unter 18 nur mit einer Packung Hubbabubba im Mund in die Diskotheken gelassen werden, zumindest scheint es so.

Wenn die Sonne langsam aus dem Meer auftaucht, füllen sich die Frühstücksläden von La Barra. Bei Jenny's gibt's um sieben Uhr morgens Milchshakes und frischgepreßte Fruchtsäfte. Zum Munterwerden.

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