Kommentar
: Clinton im Netz

■ Das Internet ist nicht verantwortlich für die Verwahrlosung politischer Sitten

Die Befürworter des Internet werden nicht müde, die Chancen dieses neuen Mediums gegen seine pauschale Denunziation als Mülltonne wertloser Information, als Nische für Schweinigel und Instrument eines elektronischen Populismus zu verteidigen. Die fatale Indiskretion, die mit der Vorabveröffentlichung von Starrs Untersuchungsbericht im Internet geschehen soll, macht das nicht leichter. Denn dieser Fall richtet das Augenmerk auf ein uraltes, durch das Internet verschärftes Dilemma der Medien: auf den Konflikt zwischen öffentlichem Interesse und dem Schutz von Persönlichkeitsrechten.

Nun steht, wie schon in Sachen Kinderpornos, das Internet als Überträger der Botschaft am Pranger. Zensurbestrebungen seitens der Politik(er) werden zunehmen, Leute mit schwachem Gedächtnis womöglich irgendwann behaupten, das Internet habe Clinton, einen der besten und leider auch dümmsten US-Präsidenten, gestürzt. Dies wäre eine hübsche ironische Wendung – Clinton selbst gehört zu den eifrigsten Befürwortern des Internet.

Gewiß verhilft das Internet auch Schmierenjournalisten vom Schlage Matt Drudges, der die ersten Gerüchte um Lewinsky im Internet kursieren ließ, ungefiltert zu öffentlicher Aufmerksamkeit. Doch das Problem ist ein anderes: Die US- Medien – alte, neue und ganz neue – haben überflüssigerweise eine private zu einer Staatsaffäre aufgebauscht. Es geht also nicht um alte oder neue, sondern um gute oder schlechte Medien. Und um das Schwinden der Trennung zwischen privat und öffentlich und die „Tyrannei der Intimität“ (Sennett). In pressegeschichtlicher Hinsicht ist das nichts Neues: Seit den Anfängen des Journalismus, der im 18. Jahrhundert die arcana imperii einer absoluten Fürstenherrschaft lüftete und so Öffentlichkeit und „vierte Gewalt“ schuf, brach der Aristokratie bei Hofe eher die Publikation ihres schweinischen Treibens das Genick als die Guillotine politischer Kritik. Immer schon war die Grenze zwischen privat und öffentlich fließend.

Die Freunde des Internet sollten sich nicht davon abhalten lassen, diese Rolle zu spielen und Skandal durch Veröffentlichung zu machen, wo es sich lohnt. Und sie sollten sich, wie in Sachen Kinderpornos, um mehr Selbstkontrolle bemühen. Auch wenn damit nicht verhindert werden kann, daß bald schon die nächste Sau durchs Internet rennt. Claus Leggewie

Professor für Politologie in Gießen