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Joschka Fischer, der Wechsel, ist da

■ Das grüne Wahlkampf-Publikum erfreute sich am Willen zur Macht

Er kam, sah und siegte – Joschka Fischer war am Samstag mittag auf dem Theaterplatz angekündigt. Daß er die ca. 500 Neugierigen eine halbe Stunde warten ließ, daß er mit einem Inlandsflug gekommen war, war schnell verschmerzt – nach den ersten Sätzen hatte „Joschka“ sein Publikum voll für sich eingenommen. „Ich rede dreimal am Tag“, entschuldigte er seine rauh klingende Stimme, „aber es geht ja auch um viel – es geht um Stimmen am 27. September.“

Diese Mischung aus Ehrlichkeit und Ironie kam an. Eine geschlagene Stunde redete Fischer, frei, die Masse vor sich fest im Blick. Er argumentierte mal sachlich, mal moralisch. Was hat eine Gesellschaft für eine Zukunft, in der ein wesentlicher Teil der Jugendlichen keinen Ausbildungsplatz findet? „Deswegen wollen und werden wir dieses ändern.“ Wenn die Großunternehmen nicht ausbilden wollen, gibt es eine Ausbildungsplatz-Abgabe. Die FDP redet von Steuersenkungen, die letzte Steuererhöhung – mit Zustimmung der FDP – gab es am 1. April. „Ich gehöre zur Firma Klartext“, sagte Fischer: Steuersenkungen kann derzeit niemand versprechen. Aber wer die Arbeit preiswerter machen will, der darf nicht den Aufbau Ost über die Renten- und Arbeitslosenversicherung finanzieren. „Ökologische Steuerreform“ ist das Stichwort, kein Teufelswerk, in den Niederlanden gibt es das schon: „Die Subventionen zu Lasten der Natur müssen abgebaut werden.“ Wenn China zum Beispiel auch nur eine kleine Entwicklungschance haben soll, müssen die europäischen Länder und die USA ihren 20 Mal höheren Energieverbrauch nachhaltig begrenzen. „Wir haben die Verantwortung für das Umsteigen, damit die anderen sich entwicken können“, und: „Genau da liegen die Arbeitsplätze der Zukunft.“

Und die Verantwortung für soziale Gerechtigkeit: Ein Skandal, wieviele Kinder von Sozialhilfe leben. Ein „neuer Generationenvertrag“ müsse her, eine „kinderfreundliche Gesellschaft“. Die Spitzensteuersatz soll gesenkt werden, gibt sich Fischer staatsmännisch, „der wird aber dann auch bezahlt“. Und dann richtet er ein paar klare Worte an den SPD-Kanzlerkandidaten Gerhard Schröder: Das AKW Biblis I werde als erstes abgeschaltet, denn die Grünen stehen für den Ausstieg aus der Atomenergie: „Da gibt es kein Wackeln“, da gehe es um „Grundüberzeugungen“. Und der Transrapid?! „Wir investieren an den falschen Stellen“, sagt er zu Schröder. Wenn die Wirtschaft das Projekt unrentabel findet, dann sollte der Staat sein Geld lieber in den Ausbau des Schienennetzes stecken.

Es scheint gerade dieser Machtanspruch zu sein, der Joschka Fischers Rede so attraktiv macht. „Opposition machen wir seit 16 Jahren“, sagt er, und dokumentiert gleichzeitig, daß er die Kompetenz und die ethisch fundierte Legitimation für den Machtwechsel hat: Er droht nicht mit dem Umwelt-Kollaps, moderne Politik ist fast selbstverständlich sozial und ökologisch.

Ein zwanghaftes Diskussions-Ritual gibt es nicht nach dieser Art Wahlkampf-Kundgebung. Fischer präsentiert sich, das ist die Botschaft, und das grüne Publikum hörte eine Stunde lang dankbar und konzentriert zu.

K.W.

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