: Wider das Grillen Von Michael Rudolf
Alles hat ein Ende, nur die Wurst hat zwei und das Grillfest manchmal gar keines. Von solchen Horrorvorstellungen gepeinigt, schrecken wir selbst im nun endlich, endlich dahinsiechenden Spätsommer aus den blutverschwitzten Kissen hoch. Was den Sommer neben seiner Hitze und den zyklischen Urlaubsmassakern nämlich so unerträglich macht, ist das Grillen im Draußen. Schon der nichtigste Anlaß läßt alle Sorten Nachbarn zu Grillmonstern werden, der Benzpyrensmog schweißt die Brutzelfurien zu einer fatalistischen Solidargemeinschaft zusammen, die archaische Zerstreuung sucht im Gedenken an Jagen und Sammeln, im Ritualisieren denkbar schlichtester Verhaltenscodes.
Typologisch unterscheiden wir das private Grillen an öffentlichen Plätzen (Tiergarten), in den Schrebergärtchen (mit dazu passender Stimmungs-/Blasmusik), auf Balkonien (mit Marius Müller-Westernhagen) und das ambulant-gewerbliche an den Brat- und Currywurstständen (was Gegenstand einer späteren Studie sein wird).
Daß das private Grillen ausschließlich Männersache ist, findet überzeugenden Ausdruck in der Kleiderordnung: eine Art Räuberzivil aus Versandhausramsch (Schürzen mit der Aufschrift „Vati hilft gern!“ über T-Shirt „Bier formte diesen schönen Leib“/„Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein“), ergänzt um weiße Söckchen, Bommelmokassins und andere Uniformteile der UCK. Doch die können den Hades der anatomischen Willkürakte nur notdürftig verhängen. Und das ist auch voll beabsichtigt. Man zeigt eben gern, was man hat. Kompromißlos formenbetont, der gestalterische Schwerpunkt weit nach unten verlagert. Seriöse Trikotagenhersteller können hier nur als Untergrundorganisationen operieren und ihre wenigen Kunden allenfalls verdeckt ermitteln. Das gilt besonders für die Bundesländer Franken und Thüringen, die sich jahrhundertelang um die berüchtigten Bratwurstpatente kloppen.
Der veritable Grill, der wie ein kleiner Altar andächtig lärmend umstanden wird, muß mit Holzkohle betrieben, dessen Rost vorher sorgfältig eingefettet werden. Da macht sich der Speckhobel schnell bezahlt, mit dem man etwas Schwarte von der sinnlos irgendwo herumkugelnden Gattin abschält. Flasche Spiritus drüber und angefackelt – nein, nicht die Gattin, sondern die Holzkohle. Ein Fön oder ein Kleinstaubsauger (verkehrtrum) sorgen für ausreichende Belüftung. Kaminfreuden für den kleinen Mann.
Dann kommt das Grillgut zum Einsatz: entweder angegorenes Fertigfleisch vom Tier oder sorgfältig in Därme gesperrte Mikroorganismen, die auf den gefürchteten Euphemismus Bratwurst hören, erstarren auf dem Rost alsbald zu Salzsäulen. Der Leichtsinn kennt bald keine Grenzen mehr, Meister Alkohol spricht seine deutliche Sprache. Nebenwidersprüche und Bagatellrivalitäten beim Paarungsverhalten müssen jetzt thematisiert und der eine oder andere Unterkiefer fachgerecht ausgehängt werden. Ältere Mitbürger nehmen örtliche Eingriffe an sich vor, z.B. Katheterwechseln. Dann versinkt hoffentlich/endlich alles in einen komatösen Schlaf und träumt vom nächsten Grillfest. Man gönnt es ihnen ja, wenigstens geben sie jetzt für eine halbe Nacht Ruhe. Aber vorher bitte die Glut noch auspinkeln.
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