Züchtigung ist nicht Folter

■ Monireh Baradaran schreibt über ihre und Tausender anderer Leidensgeschichte in den Gefängnissen des Iran. Dort gibt es offiziell keine Folter. Die Mullahs nennen es Züchtigung

Monireh Baradaran wurde im Oktober 1981 verhaftet und verbrachte neun Jahre des Schreckens im Gefängnis. Sie hat darüber ein bewegendes und materialreiches Buch geschrieben. Der Zeitpunkt seiner Veröffentlichung in deutscher Sprache ist gut gewählt. Scheinbar öffnet sich die Republik der Mullahs, scheinbar öffnen sich auch die Gerichtssäle, und das Strafverfahren wird transparent. Aber der Schein trügt. Die neue Justizöffentlichkeit gilt nur für das loyale islamische Volk, für Funktionäre des Regimes wie den Bürgermeister von Teheran, bestenfalls für legal arbeitende Schriftsteller. Ansonsten wird weiterhin in aller Heimlichkeit gefoltert und hingerichtet.

Besonders großes Gewicht legten die Mullahs auf systematische Gehirnwäsche. Bekannte Funktionäre von linken Organisationen und Parteien werden auf Diskussionsveranstaltungen im Gefängnis vorgeführt. Sie gestehen ihre begangenen Fehler und bezeugen die Überlegenheit des Islam und ihre Treue zur Islamischen Republik.

Der Zwang zur Reue setzte manche Gefangene unter einen psychischen Druck, der sie willenlos machte. Sie wurden wegen Kleinigkeiten mit Stockhieben bestraft. Manche erlagen diesem Druck und wurden zu „Tawabs“ (d.h. zu „Reuigen“; d.Red.). Als Gefangene revidierten die Tawabs ihre frühere Überzeugung und versprachen, dem Islam zu dienen. Aus Opfern werden Täter. „Einige von ihnen, die besonders hartgesotten und übereifrig waren, nahmen sogar an den Hinrichtungsvorbereitungen teil. Sie feuerten den ersten Schuß ab und erledigten die Nachsorgearbeiten.“

Kooperierende Tawabs bekamen auch Urlaub und durften heiraten. Im Urlaub heirateten Tawab-Frauen manchmal Tawab- Männer, damit sie im Gefängnis eine Vertrauensperson hatten, denn sie sprachen nicht mit anderen Gefangenen über die Einzelheiten ihrer schmutzigen Arbeit. In der Gefängnishierarchie stiegen die Tawabs auf: Sie wurden zunächst Wärter, dann Folterknechte, Peiniger und Untersuchungshelfer. Sie unterlagen dem Zwang, sich immer wieder aufs neue zu bewähren. Deshalb wurden sie immer brutaler. Baradaran schreibt über die Gewalt: „Menschliche Schreie, das Geräusch der auf Fleisch niedersausenden Peitschen und das Stöhnen der Gequälten bildeten zusammen einen Horrortrip, ein alptraumhaftes, grauenvolles Konzert, das die Gänge erfüllte.“

Manchmal wurden Gefangene auch bezichtigt, aus taktischen Gründen Tawab geworden zu sein, um auf diese Weise Einfluß auf die Verwaltung nehmen zu können. Sie wurden monatelang der schwersten Folter unterzogen. Psychischer Kollaps und Veränderung ihrer Persönlichkeit waren und sind typische Folgeerscheinungen der Folter. „Aus vielen entwickelten sich echte, willenlose Tawabs, die jede Kooperation akzeptierten und als Folterpersonal gegen andere Gefangene zu einer traurigen Berühmtheit gelangten.“

Das Evin-Gefängnis ist berüchtigt für seine Folter- und Terrormethoden. Wawak, der Geheimdienst der Islamischen Republik Iran, hat alle Akten des Schah- Geheimdienstes Sawak übernommen. Zahlreiche Gefangene wurden aufgrund dieser Akten erneut verhaftet und hingerichtet.

Ziel der Untersuchungsbeamten ist es, aus Gefangenen „gute Muslime“ zu machen. Monireh Baradaran spricht von einem einseitigen, unmenschlichen Vernichtungskampf gegen diejenigen, die ihre nichtkonforme Identität behalten wollen. Denn dann ist die Gefährlichkeit eines Menschen klar bewiesen, und folglich muß sein Leben beendet werden.

Ein Folterinstrument, das häufig eingesetzt wurde, um politische Gefangene zu brechen, ist die „Kiste“, in die die politischen Gefangenen gesteckt wurde. Diese Kiste hatte vorn und hinten keine Wände. Sie wurde an die Wand gerückt. Manche Gefangene saßen bis zu zehn Monaten in der Kiste, um sich selbst treu zu bleiben. „Wenn ich heute an diese Zeit zurückdenke, fange ich unvermittelt am ganzen Körper zu zittern an und werde von panischer Angst erfaßt“, schreibt Monireh Baradaran. Viele Frauen, die in diesen Kisten vegetierten, fanden nie mehr zur Normalität zurück. Mehrere begingen Selbstmord.

Im Ghezelhessar-Gefängnis arbeiten die Folterer mit besonders modernen Mitteln in Form von Umerziehungsprogrammen per Video und Videointerviews. Wenn diese Programme gesendet wurden, mußten alle ruhig sitzen und bewegungslos zuhören. Die Interviews handeln von den „Geständnissen der Gefangenen, von ihren subversiven Versuchen und der Bildung von Sabotageorganisationen innerhalb der Gefängnismauern“.

Eine weitere beliebte Methode war die Veranstaltung von Diskussionen. Ein Mullah versprach jeder Gefangenen Meinungsfreiheit. Tatsächlich erfuhren die Gefangenen sehr bald, daß diejenigen, die in diese Falle tappten und naiv in den Diskussionen beispielsweise den Marxismus verteidigt hatten, sehr bald hingerichtet wurden. Es gab politische Gefangene, die ihre Identität nicht verlieren wollten und dafür mit ihrem Leben bezahlt haben...

Der Begriff „politische Gefangene“ wird in bezug auf Frauen dennoch nie benutzt. Die Mullahs nannten sie Heuchlerinnen und Heidinnen, sie diffamierten sie als querulatorische Neurotikerinnen.

Die Folterer versuchten ihren Opfern beizubringen, daß sie Sünder seien. Ständige Demütigungen verstärkten die Schuldgefühle. Ziel war die Islamisierung der Gefangenen; schlug sie fehl, folgte die Hinrichtung. Der Zweck heiligte jedes Mittel. Monireh Baradaran beschreibt eindrucksvoll, wie sie im Gefängnis anfing den Koran zu lesen. Dennoch bewahrte sie ihre Unabhängigkeit. Sie schildert auch eindrucksvoll, wie die eingekerkerten Frauen sich zur Wehr setzten. Sie sangen allein oder im Chor Lieder, um ihren Widerstandswillen zu stärken. Über Verhörszenen wurden Sketche aufgeführt, besonders, wenn es um schlaue Erwiderungen ging, mit Hilfe deren die Gefangenen den Untersuchungsbeamten ausweichen konnten.

Monireh Baradaran erlebte die Massenhinrichtungen im Jahre 1988. Als amnesty international diese Morde an die Öffentlichkeit brachte, wies das iranische Außenministerium alle Beschuldigungen als Lügen von sich. Monireh Baradaran fühlte sich im Gefängnis allein gelassen. „Wir waren die Vergessenen dieses Informationszeitalters.“ Mit ihrem Buch möchte Monireh Baradaran nun den Bann brechen. Die Zeit dafür ist jedenfalls längst überreif. Wahied Wahdathag

Monireh Baradaran: „Erwachsen aus dem Alptraum“. Herausgegeben und aus dem Persischen übertragen von Bahram Choubine und Judith West. Unionsverlag, 339 Seiten, 38 DM