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Hauptanliegen: Optimismuskritik

■ Manchmal geraten selbst die Bilder im Fernsehkasten durcheinander. Dann liest Bora Cosic aus „Bel Tempo“

Würde man Großmutter Laura an die Macht lassen, wäre alles zur besten Zufriedenheit geordnet, schon aufgrund ihrer breiten Erfahrung und Weltkenntnis. Die Hauptfigur in Bora Cosic's Roman Bel Tempo ist immerhin die älteste Fernsehzuschauerin Europas. Gelähmt, aber keineswegs dement, sitzt sie den ganzen Tag in ihrem Belgrader Wohnzimmer und kommentiert den allgemeinen Lauf der Dinge. Ganz allein für sich, denn mit ihrer Tochter Danica würde sie sich nur streiten.

Wie herrlich enfach ist doch der Film: Die einen schön, die anderen unrasiert, vorne fehlt mindestens ein Zahn, da weiß man gleich, wo-ran man ist. Manchmal allerdings geraten selbst die Bilder im Fernsehkasten durcheinander, jeder wird von jedem angegriffen, und eine völlig unbekannte Schönheit auf dem Fahrrad taucht auf. „So ein Mischmasch, wo haben die ihren Verstand gelassen“, denkt Laura dann, doch schon geht es weiter im Programm. Arbeiter, die einen Hungerlohn fordern. Die Herrlichkeit des Weltalls und die außerhalb. Politiker und Wissenschaftler, bewundernswert: „Aus nichts machen sie etwas. Aus purer Luft.“

Stichworte, Aufzählungen, Assoziationsketten. Auf 382 Seiten nicht ein Absatz. Keine Handlung, kein Spannungsbogen, nicht die Spur einer Entwicklung. Spannend im herkömmlichen Sinn ist Bel Tempo wirklich nicht. Eher „enervierend“, um es mit Laura zu sagen. Und doch kann der Leser genauso wenig das Lesen lassen, wie die Großmutter nicht „die kostbare Möglichkeit des Abschaltens“ nutzt. Bora Cosic und seine Übersetzer Irena Vrkljan und Benno Meyer-Wehlack haben die Pointen gut verstreut, und auf fast jeder Seite finden sich Schätze wie „Liebe Völker und liebste Nationen, allerliebste Mütter und Schwestern, unvergleichlicher Pöbel, steht stramm und dann rührt euch, bis euch erklärt wird, was Sache ist“.

Bora Cosic, Autor von mehr als 30 Büchern, ist im Westen mit dem grotesken Roman Die Rolle meiner Familie in der Weltrevolution bekannt geworden – auch darin war schon seine Großmutter das Zentrum. In Bel Tempo, geschrieben 1982, sei Optimismuskritik sein Hauptanliegen, sagt der serbische, in Berlin lebende Schriftsteller. Und in der Tat durchziehen Lauras Bemühungen, in allem nur das Beste zu sehen, ob es nun paßt oder nicht, das ganze Buch. Paßt es nicht, gewinnt der Autor und mit ihm der Leser etwas Abstand von der sturen Alten. Doch dann gerät man wieder in den Sog des konservierten und kommentierten Weltgeschehens, das Omas Gedächtnis Revue passieren läßt.

Wer von Büchern vor allem ein lesefreundliches Layout fordert, wird entsetzt sein. Für die anderen ist Bel Tempo ein großer Spaß.

Barbora Paluskova

Lesung: heute, 20.00 Uhr, Literaturhaus

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