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Den Zehnt würden sie auf Knieen zum Finanzamt tragen

■ Die oft totgesagte FDP zuckt noch in Bremen: Der Westerwelle-Fan-Club und 400 andere Gelbe lauschten Variationen zu den Themen Freiheit, Steuersenkung und Schmähungen konvertierter Hausbesetzer

Der Mann redet nicht wie ein egomanischer Besserverdiener, den politische Gegner gern bei der FDP vermuten. Und dennoch war Kohls Koalitionspartnern die Zweitstimme des butenbremer Rechtsanwalts schon vor dem geballten Wahlkampfeinsatz der Parteiprominenz am Mittwoch abend im Hotel Munte sicher. „Wir, die mittlere Generation“, sagt der 56jährige, hätten doch „ohne eigenes Zutun“ am meisten vom wirtschaftlichen Aufschwung profitiert. „Wir müssen unsere Ansprüche zurückschrauben zugunsten der Jüngeren“, findet der Freiberufler. Das sei Sache der FDP: „Aus Angst um ihre Existenz“ setze die Partei „Dinge in Bewegung“.

Darauf hofften die meisten der 400 alten, jungen und meist sehr kultivierten Zuhörer im Saal, trotz der 1,7-Prozent-Klatsche bei der Bayernwahl. Die FDP lebt offenbar noch in Bremen und umzu. Und so macht sich der Bremer Bundestagskandidat, Ex-Ampel-Senator Claus Jäger, Hoffnungen auf einen Parlamentssitz. 35.000 Stimmen brauche er dafür, sagt Jäger.

Die liberalen Wahlkampfzugpferde halfen routiniert. Nach den staubtrockenen Worten von Fraktionschef Hermann Otto Solms griffen der rheinland-pfälzische Wirtschaftsminister Rainer Brüderle und Generalsekretär Guido Westerwelle in die Vollen und variierten gekonnt die FDP-Leitsätze: Freiheit für den leistungsbereiten Bürger, weniger staatliche Vorschriften und „Runter-mit-der-Steuer-und Abgaben-bringt-bessere-Konjunktur-bringt-mehr-Arbeitsplätze-bringt-mehr- Staatseinnahmen“.

Früher habe es wegen des Zehnten Bauernkriege gegeben, sprach Brüderle. „Den würden Sie und ich heute doch auf Knieen zum Finanzamt tragen“. Das Steuersystem sei viel zu kompliziert, sagt der stellvertretende Bundesvorsitzende. „60 Prozent der Weltliteratur im Steuerrecht ist deutsch. Das ist ein mieser Rekord“. Zuvor hatte Solms beklagt, daß sich die FDP mit ihren Steuerplänen lange Zeit nicht gegen die Union habe durchsetzen können.

Hauptgeg-ner der FDP sind aber die Grünen, und so kassierten Fischer und Trittin, „konvertierte Hausbesetzer,denen man das Auswärtige Amt keinesfalls überlassen“ dürfe, die Watschen des Weinbauministers aus Mainz. Die Grünen seien eine Partei von Bevormundern, so Brüderle. Außerdem hätten sie „schwere Schuld auf sich geladen“, weil sie neue Technologien wie Gen- und Biotechnik verteufelten. „Wir können doch nicht die Arbeitslosen auf der Straße stehen lassen, weil einige Grüne zu blöd waren, im Physik- und Chemieunterricht dem Stoff zu folgen.“ Brüderle gab auch den Mittelständler und warnte vor der Konzentrationswelle unter den Großunternehmen. Der Bürger habe keine Wahl mehr, kleine Zulieferer würden geknechtet. „Auch das ist ein Freiheitsthema“.

Westerwelle hakte ein. Oft werde ihm Klientelpolitik vorgeworfen. Dabei sei die FDP mit ihrer Mittelstandsförderung doch die „bessere Arbeitnehmerpartei als diejenigen, die rote Fahnen durch die Straßen tragen“.

Mit dem Thema Bildung punktete der „General“, den seine bekennenden weiblichen Fans nachher als „Bindeglied“ zur jungen Generation priesen, mit Angriffen gegen die Politik der Bundesländer. „Die Kultusministerkonferenz muß entmachtet werden, weil ihr die Frage, ob man Schiffahrt mit zwei oder drei F schreibt, wichtiger ist als die Verkürzung von Ausbildungszeiten“, so der FDP-Vordenker.

Und die Grünen! Die wollten in Wahrheit die Einnahmen aus einer Öko-Steuer für eine „gigantische Umverteilung“ einsetzen. Das grüne Konzept einer bedarfsorientierten Grundsicherung verspreche einer Familie 4.000 Mark netto. „Das ist eine Einladung zur organisierten Faulheit“.

Die Leistungsträger im Saal dankten für die Aufmunterung und gingen mit der Hoffnung nach Hause, daß die Liberalen wieder in den Bundestag kommen, mit der Union koalieren und endlich – im x-ten Versuch nach 29 Jahren an der Regierung – den frischen Wind der Bürger-Freiheit durchs Land wehen lassen. Joachim Fahrun

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