Verheißungen für den Stern

13.000 Daimler-Aktionäre diskutieren Fusion mit Chrysler. Vorfreude des Chefs und Amerikanisierungssorgen der kleinen Anleger  ■ Aus Stuttgart Heide Platen

Vorstandschef Jürgen Schrempp schaute todernst bei seiner Zukunftsvision von einem modernen Unternehmen, „bei dem es Spaß macht zu arbeiten“. Und beim vorletzten Spiegelstrich seiner Rede in der Stuttgarter Hanns-Martin-Schleyer-Halle geriet ihm der Firmenname des künftigen „ertrags- und wachstumsstärksten Unternehmens zu Beginn des 21. Jahrhunderts“ noch einmal zu „Daimler- Benz“.

Dabei hatte er die 13.300 Aktionäre, die zur außerordentlichen Hauptversammlung gekommen waren, zuvor immer wieder fast euphorisch auf den neuen, weltweiten und mächtigen Konzern „Daimler-Chrysler“ eingeschworen: „Meine Damen und Herren, Sie schreiben heute Geschichte!“

Der Stern von Sindelfingen, beteuerte er mit pastoraler Eindringlichkeit, werde nicht sinken, sondern durch die Fusion mit dem US- amerikanischen Familien- und Freizeitauto-Konzern Chrysler mit „einer großartigen Tradition in eine faszinierende Zukunft“ gehen. Daimler-Benz trete den Zusammenschluß als gleichstarker Partner an. Wenn nicht gar, so war es zwischen den Zeilen zu hören, als der Stärkere.

Schrempp zelebrierte den Erfolg: ein Plus des Geschäftsvolumens von 20 Prozent auf 90,9 Milliarden Mark in den ersten acht Monaten des Jahres. Und gegenläufig zur insgesamt kränkelnden Automobilindustrie sei der Absatz von Personenwagen um 29 Prozent gestiegen. Obendrein konnte Schrempp 7.000 neue Arbeitsplätze ankündigen. Ziel seiner Rede war zum einen, die Zustimmung zu Zusammenschluß und Verschmelzungsvertrag der Konzerne zu erreichen. Zum anderen aber erbat er die Bereitschaft der Aktionäre, ihre Wertpapiere innerhalb einer Frist von 30 Tagen zwischen dem 24. September und dem 30. Oktober umzutauschen. Neue Untergrenze für die Transaktion sei, hatten die amerikanischen Steuerbehörden verlangt, eine Umtauschquote von 75 Prozent. Der Konzern aber strebe zur Nutzung von Steuervorteilen mindestens 90 Prozent an. Dann winkten, prophezeite Schrempp, nicht nur der Bonus von einer Gratisaktie pro 200 umgetauschter Aktien, sondern in der Zukunft auch höhere Dividenden.

Auch etliche Vertreter der Interessenverbände der Kleinaktionäre lobten den Zusammenschluß. Sie warnten allerdings vor einer „Verwässerung“ des markenspezifischen Rufes von Mercedes und vor einer „Amerikanisierung“ der Arbeitsbedingungen. Kleinaktionäre, rieten sie, sollten wegen besserer Gewinnchancen beim Umtausch abwarten. Außerdem sei „die Braut“ Chrysler wirtschaftlich bei weitem nicht so gesund, wie Schrempp behauptet habe. Sie bestehe, sagte der Münchner Kleinaktionär Heino Drieling, im Gegenteil „nur aus heißer Luft und Bluff“. Er beantragte, den Zusammenschluß schon deshalb abzulehnen, weil Englisch als Unternehmenssprache „Identität, Stil, Tradition“ von Daimler-Benz zerstöre. Schrempp wirkte leicht angespannt, als er versicherte, das auch auf deutsch konferiert werde.

Ein weiteres halbes Dutzend Anträge, die Fusion abzulehnen, kam von den Kritischen AktionärInnen. Sie listeten auf, der Benzinverbrauch werde durch die gemeinsame Produktion für den deutsch-amerikanischen Markt nicht gesenkt werden, sondern steigen. Entgegen den Versicherungen des Vorstandes seien rund 100.000 der bisher über 400.000 Arbeitsplätze gefährdet und ein Konzern dieser Größe grundsätzlich nicht mehr demokratisch kontrollierbar. Sie sahen außerdem die Gefahr, daß der firmeneigene Rüstungsproduzent Dasa weiter expandiere, statt auf zivile, umweltfreundliche Technologien und Produkte umzustellen. Im Foyer speisten die Angereisten während der nachmittags noch lange nicht beendeten Debatte im warmen Dunst Würstchen, Brötchen und Blätterteig und bewunderten Luxuskarossen beider Firmen. Da parkte die rabenschwarze, dezente Mercedes-Limousine Konrad Adenauers neben einem knallroten Chrysler 300, Baujahr 1961, mit meterlangen Heckflossen.