: Bleiberecht durch rotes Kreuz
■ Wahlkampf oder Satire: Gestern hielt die PDS-Kandidatin Petra Pau am Kollwitzplatz eine "Rede an die Wessis", bejubelt von "Schwaben für Pau" und beargwöhnt von den neuen Bewohnern des Platzes
Petra Pau eilte dem Trend weit voraus. Schon 1989 floh die Pionierleiterin vom Prenzlauer Berg nach Hellersdorf. Zentralheizung, Bad und Balkon lockten – lange bevor Studenten, Szenevolk und Yuppies aus dem Westen vom Altbaubezirk Besitz ergriffen, viele Ureinwohner in die Flucht schlugen und das Polit-Biotop durcheinanderwirbelten.
Seit die PDS-Landesvorsitzende nach mißglückter Kandidatenkür, den Schiffbruch des Admirals Elmar Schmähling eingeschlossen, als Bundestags-Direktkandidatin in ihren alten Kiez zurückkehren mußte, wird ihr die West-Ost-Wanderung selbst zum Problem.
„Wenn man den Medien glauben will“, sagt sie, von der Kluft zwischen demographischer Basis und sozialistischem Wahlkampf- Überbau offenbar noch nicht recht überzeugt, gebe es im Bezirk „zahlreiche NeubürgerInnen und Unentschlossene“.
Also machte Pau aus der Not eine Tugend und eilte am gestrigen Sonntag auf den Kollwitzplatz, um sich mit einer „kraftvollen Ansprache“ in schönstem Wessi-Deutsch an „frühstückende Neu-Prenzl'berger“ zu wenden. Nicht ohne zuvor gemächlichen Schritts, mit dem roten PDS-Wahlkampfbus im Schlepptau, durch Knaack-, Husemann- und Kollwitzstraße zu ziehen. Rund 50 Pau-Fans überwiegend westdeutscher Herkunft gaben sich auf handgemalten Plakaten als „Schwaben für Pau“ oder „Rheinländer für Pau“ zu erkennen.
Doch eine Woche vor der Bundestagswahl erschien der Kandidatin die Lage wohl doch zu ernst, als daß sie sich auf solche Späße voll und ganz hätte einlassen können. Da mußte sie dann doch auf den „Finanzierungsvorbehalt“ hinweisen, der die Wahlversprechen ihres SPD-Kontrahenten Thierse entwerte, um schließlich das frühstückende Publikum zu fragen, ob es sich „den Milchkaffee wirklich verthiersen lassen“ wolle.
„Wer PDS wählt, erwirbt Bleiberecht“, faßte sie das Fazit ihrer Ansprache an die Exil-Schwaben zusammen, „wer ein echter Prenzlauer Berger werden will, der darf nicht auf halbem Wege stehenbleiben“. Hinter ihr reckte ein ausgewiesener Niedersachse ein Pappschild in die Höhe, mit dem er um „Beifall“ warb. Prompt brachen die Umstehenden in Jubel aus.
Ein Student, der gerade seine aus Westdeutschland angereisten Eltern über den Kollwitzplatz führte, schaute peinlich berührt, und ein geschniegelter Sakko-Träger rollte verlegen das PDS-Fähnchen zusammen, das er sich gedankenverloren hatte in die Hand drücken lassen.
Unterdessen eröffneten die „Sentimentalen Transportarbeiterfreunde“ den musikalischen Teil der Kundgebung, und Petra Pau mühte sich, ihr Winkelement im Takt zu schwingen.
„Haben die alle nüscht zu tun?“ maulte in der Husemannstraße eine Ureinwohnerin, „die müssen doch einen an der Rübe haben!“ Ralph Bollmann
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen