piwik no script img

Hermetische Zirkel pathologischer Seelen

■ Tod im Wortgestrüpp: Die Kinder des „Pastor Ephraim Magnus“ beim D.H.A.S. Theater

Die Kinder des Pastor Ephraim Magnus sind zweifellos krank. Sicher haben sie im Elternhaus eine Überdosis Frömmigkeit abbgekommen, und Hans Henny Jahnn läßt es sie in seiner Tragödie bitter büßen. Die kompromißlose Suche nach unbedingter Liebe und nach dem, was sie „die riesengroßen unerfüllbaren Dinge“ nennen, führt die drei Geschwister geradewegs in einen hermetischen Zirkel pathologischer Seelenzustände. Echte Menschen wollen sie werden, wissen aber gar nicht, was das ist, und so taumeln sie zwischen Kastrationswünschen, Körperhaß und Kreuzigungsphantasien aneinander vorbei. Eine Chance auf Heilung wird ihnen nicht eingeräumt: Ephraim, Jacob und Johanna müssen an den Ansprüchen scheitern.

Vermutlich hat Jahnn das kindische „Keiner versteht mich“ des verwirrten Trios gar nicht ironisch gemeint. Fest steht aber, daß der Autor den Zugang zu diesem Drama so dicht mit Wortgestrüpp verrammelt hat, daß zwei Stunden Theater einfach nicht ausreichen, um ihn zu öffnen. Nach der Uraufführung 1923 unter der Regie von Bertolt Brecht gab es erst 1980 in Kassel eine zweite Inszenierung. Die dritte ist derzeit im AK Barmbek zu sehen. Das D.H.A.S. Theater setzt mit Pastor Ephraim Magnus seine Klinik-Trilogie fort, deren erster, sehr erfolgreicher Teil im vergangenen Jahr am gleichen Ort aufgeführt wurde.

Auf dem provisorisch abgesicherten Dachboden des Krankenhausgebäudes stellt Regisseur Christian Liffers einen sehr engen Kontakt zwischen dem Publikum und den Akteuren her. Unterstützt von einem klirrend kalten Beat (Marco Flick und S-Max) bewachen alptraumhafte Forschergestalten die Geschwister und dirigieren die Zuschauer zu den Zentren des Geschehens: ein Flur und zwei offene Räumen mit kleinen Tribünen.

Während sich Jacob (Sven Reese), Johnanna (Patricia Tiedtke) und Ephraim (Jens Roth) krude Wortgefechte liefern, wird in Dutzenden kleiner Verliese weitergeforscht. Die mysteriösen Wissenschaftler verwandeln den Ort in ein Versuchslabor. Daß sie zum Schluß die amüsierte, eiskalte Distanz zugunsten menschlicher Dialoge aufgeben, ist eine der vielen Überraschungen, die diese Inszenierung bietet. Ideenarmut kann man dem D.H.A.S. Theater wirklich nicht vorwerfen. Doch die Pastorenkinder müssen weiterhin darauf warten, daß sie irgendwann jemand verstehen wird.

Barbora Paluskova

bis So, 4. Oktober, tägl. außer Mo, 20 Uhr, AK Barmbek, KartentelefonTel.: : 63 85 22 11

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen