: In Malaysia herrscht ein Klima der Angst
Der autoritäre Premierminister Mahathir versucht mit Verhaftungen und Einschüchterungen den Ruf nach politischen Reformen abzuwürgen, der von seinem früheren Stellvertreter ausgelöst wurde ■ Aus Kuala Lumpur Jutta Lietsch
„Ich fürchte um das Leben meines Mannes“, sagt Wan Azizah Ismail, die Ehefrau des früheren malaysischen Vizepremierministers Anwar Ibrahim, nachdem er am Sonntag unter anderem wegen „sexueller Vergehen, Analverkehr und Störung der öffentlichen Sicherheit“ verhaftet worden war. Grund für die Sorge der Gattin: Es gebe Hinweise darauf, daß die Regierung ihn „möglicherweise mit dem HIV-Virus infizieren“ werde, um so „den Beweis für ihre Beschuldigungen zu erbringen“. Wan Azizah hat seit der Verhaftung ihres in Ungnade gefallenen Mannes nichts mehr von ihm gehört und weiß nicht einmal, wo er inhaftiert ist.
Es ist bezeichnend für das derzeitige politische Klima in Malaysia, daß Anwars Frau, eine Augenärztin, nicht einfach als hysterisch oder verrückt abgetan wird: Selbst besonnene Oppositionelle sagen, daß dem 72jährigen Premierminister Mahathir Mohammad „alles zuzutrauen“ sei, wenn er sich politisch bedroht fühlt. „Er ist rachsüchtig“, heißt es. Wan Azizah hat inzwischen angekündigt, die Kampagne ihres Mannes für politische Reformen fortzusetzen.
Nach einem lange schwelenden Machtkampf in der regierenden Umno-Partei hatte der Regierungschef seinen Stellvertreter Anfang September entlassen. Der hatte dies aber nicht still hingenommen. Statt dessen kam es erstmals in der 17jährigen Regierungszeit des autoritären Mahathir zu großen Protestkundgebungen. Der gefeuerte Rivale Anwar tauchte nun in der Rolle des Reformators auf, der Korruption und Vetternwirtschaft beklagte und zuletzt auch den Rücktritt seines langjährigen politischen Mentors forderte.
Doch Mahathir hat keineswegs vor, sich wie Indonesiens Diktator Suharto stürzen zu lassen. Statt dessen schlägt er zurück: Seit Montag wird sein ehemaliger Stellvertreter unter dem berüchtigten Internen Sicherheitsgesetz festgehalten. Das heißt, die Behörden brauchen keinen gerichtlichen Haftbefehl und können ihn zwei Jahre völlig von der Außenwelt isolieren.
Nach seinem Arrest folgte in den letzten Tagen eine Verhaftungswelle in mehreren Städten des Landes, deren Ende noch nicht abzusehen ist: Elf seiner Anhänger in der Regierungspartei Umno, führende Köpfe muslimischer Jugendverbände, Universitätsprofessoren und Geschäftsleute sind bislang ebenfalls unter dem Internen Sicherheitsgesetz verhaftet worden. Polizeisprecher drohten, „daß es noch mehr werden“ können.
Außerdem wurden nach einer Demonstration am Montag, wo es erstmals seit vielen Jahren zu Schlägereien mit der Polizei kam, mehrere Dutzend Teilnehmer verhaftet, sagt die Menschenrechtsorganisation Suaram. Viele Malaysier sind verängstigt. Anders als in Indonesien vor dem Sturz Suhartos, wo viele Indonesier mit ihrem Ärger nicht hinter dem Berg hielten, ziehen es die Befragten in Kuala Lumpur vor, zu schweigen. „Ich sage nichts, ich habe Frau und Kinder“, sagt ein Verkäufer in einem Supermarkt auf die Frage, was er von den Beschuldigungen gegen Anwar halte.
Das Klima der Angst erinnert an das Jahr 1987, als über 100 Personen nach dem ISA in den Gefängnissen des Landes verschwanden. Auch damals sah sich Mahathir von einem populären Gegner in der Partei bedroht. Er zögerte nicht, hart zuzuschlagen – und die Einschüchterung wirkte: Die Mehrheit der Partei stellte sich wieder hinter ihn. Nachdem drei Zeitungen geschlossen worden waren, wagte die verängstigte Presse nicht mehr, ihn zu kritisieren. Malaysische Unternehmer bissen sich auf die Zunge, wenn sie sahen, daß öffentliche Aufträge und lukrative Posten an Freunde oder Verwandte von Regierungspolitikern gingen – und hielten still.
Regierungskritiker wie Lim Guang Eng von der oppositionellen Democratic Action Party, die dennoch den Mut hatten, den Mund aufzumachen, wurden schikaniert und nach einem der vielen Gesetze zur Überwachung von Presse und öffentlicher Ordnung vor Gericht gestellt. Lim sitzt derzeit zum zweiten Mal hinter Gittern. Die Bürgerrechtlerin Irene Fernandes steht seit zweieinhalb Jahren vor Gericht, weil sie Mißhandlung und Tod von Gastarbeitern in Abschiebehaft dokumentiert hatte. Ein Ende des „längsten Prozesses in der Geschichte Malaysias“, wie sie sagt, ist noch nicht in Sicht.
Doch die vorwiegend sexuelle Schmutzkampagne, mit der Mahathir den Ruf Anwars als gläubiger und rechtschaffener Muslim zerstören und seinen Anhängern in den islamischen Bewegungen entfremden will, könnte sich als Bumerang erweisen. Vor Anwars Privathaus sammeln sich täglich Hunderte von Sympathisanten. „Ich war gestern auch da“, sagt eine Frau, die ihren Namen nicht nennen will. „Nicht, weil ich Anwar so gut finde. Aber ich will Gerechtigkeit, so geht es nicht.“
Bürgerrechtsgruppen, Studenten und muslimische Organisationen haben begonnen, sich zu treffen, um gemeinsam gegen den Diktator Mahathir zu arbeiten. Beim Protest gegen die Verhaftung Anwars gehe es nicht um das Schicksal eines einzelnen, erklärten gestern Vertreter der Jugendorganisation Abim. „Jetzt geht es um die Rechte aller Malaysier.“
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