piwik no script img

Mitten in der Ferne

■ Die Hamburger Produktion Aprilkinder von Yüksel Yavuz feiert beim Filmfest Uraufführung

„Küche/Innen/Nacht“, „Straße/Außen/Tag“, „Döner/Innen/Tag“: Lakonischer und knapper können Regieanweisungen nicht sein. So – scheinbar – beiläufig hat Yüksel Yavuz sein Spielfilmdebüt inszeniert, das jetzt beim Filmfest Hamburg uraufgeführt wird. Es ist die Geschichte von Cem, Mehmet und Dilan, drei kurdischen Geschwistern in Hamburg. Sie sind Aprilkinder, jeweils gezeugt im sommerlichen „Heimaturlaub“ des Vaters.

Die Kamera steht einfach dabei, wie ein Kumpel oder Vertrauter, wenn Mehmet sich vom Kleinhehler ans Steuer eines großen Schlittens hochdealt, wenn Cem versucht, vor der abgesprochenen Heirat in die Liebe zur deutschen Prostituierten Kim zu fliehen, wenn Dilan in ihrer ersten zaghaft-heimlichen Verliebtheit die Initiative übernimmt. Yüksel Yavuz hat sein Handwerk als Dokumentarfilmer an der HfBK gelernt, seine Bildrahmen sind Zimmertüren, Schränke, Spiegel, Häuserfassaden. Er setzt seine Schnitte präzise, wenn nötig schnell. Blendende Regieeinfälle gibt es nicht. Die Stadt – Hamburg – ist zwar da, aber die Protagonisten, und mit ihnen die Kamera, sehen sie als – eben – Küche, Döner, Puff. Sie leben, irgendwie, mittendrin, aber Hamburg ist kein Ort, schon gar nicht ein Zuhause, und Deutschland ist nicht im Bild, ist irgendwie, ist fern.

Yavuz' Schauspielerführung entspricht seiner Bildregie. Seine Besetzung – Laien wie Profis – agieren mit bruchloser – manchmal irritierend spontaner Echtheit. Bülent Esrüngün (Mehmet), Senem Tepe (Dilan), Cemal Yavuz (Vater) standen zum ersten Mal vor der Kamera und geben ihren Figuren eine beinahe dokumentarische Präsenz. Den Profis – Serif Sezer (Mutter), Erdal Yildiz (Cem) und Inga Busch (Kim) ist es – wiederum scheinbar – mühelos gelungen, Einstellung für Einstellung in der Geschichte aufzugehen. Ein Kabinettsütck gelingt Hasan Ali Mete als jovial-bedrohlicher Onkel-Puffbesitzer-Drogenschieber, der zudem auch noch furchtbar singt.

Für seinen 90minütigen Erstling hatte Yavuz 26 Drehtage im Herbst '97 zur Verfügung. Das Budget – 900.000 Mark – stellte zu zwei Dritteln das ZDF, der Rest kam von der Hamburger Filmförderung. Für Proben und Improvisation war da kein Platz, zwei, höchstens drei Takes pro Einstellung mußten genügen. Das Drehbuch hat Yavuz zusammen mit Britta Ohm und Henner Winckler über zwei Jahre hinweg entwickelt. Ihnen ist dabei das Kunststück gelungen, einen vermeintlich spontan abgefilmten Dialog fast Wort für Wort vorzugeben, bis hin in die unvermittelten Übergänge aus dem Deutschen ins (untertitelte) Türkische oder Kurdische.

Dem Zuschauer geht es mit den Aprilkindern ein bißchen wie Axel Pape (ehemals Die Wache), der eigentlich nur seine Freundin bei den Dreharbeiten besuchen wollte und ohne weiteres für die Rolle von Cems deutschem Arbeitskollegen Alfi eingespannt wurde. Cem nimmt ihn mit in Hasan Ali Metes Plüsch-Puff, und dort steht er als „Is arkadasi, Arbeitskollägä, hä?“ in einer Welt, die mitten in Hamburg ist, aber irgendwie eben auch ganz fern.

Heinz-Günter Hollein

Do, 24., 19.30 Uhr, Zeise; Mo, 28. September, 22.30 Uhr, 3001

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen