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Wahlkampf der Paragraphen-Surfer

Noch immer fällt den Parteien zum Thema Internet nicht viel mehr ein als Debatten über den Lauschangriff im Netz und die Leier vom Standort Deutschland – von Visionen für die Zukunft des Internet keine Spur  ■ Von Claudia Sudik

Surfen und Chatten sind jetzt Pflicht, waren sich die Wahlstrategen einig. So wagten sich Politiker jeder Couleur mehr oder weniger tapsig in das ungewohnte Element, und das Netz-Volk freute sich. Über Tippfehler und die Gelegenheit, der Justizministerin in Schröders Schattenkabinett, Herta Däubler-Gmelin, zu erzählen, daß einem kürzlich das Fahrrad gestohlen wurde, oder Joachim Herrmann von der CDU/CSU zu fragen, warum seine Partei „so ausländerfeindlich“ ist.

Ob und wie lange man in Deutschland noch sorglos online kommunizieren kann, ist jedoch unklar. Das Internet war den Bundestagsparteien diese Wahlkampfsaison willkommenes Medium, um Surfer auf knallbunte Werbeseiten zu locken. Fast gar nichts erfuhren diese dort allerdings darüber, was die Parteien mit Internet und Nutzern vorhaben. Sollte der große Lauschangriff im Netz gesetzlich durchgezogen werden? Nur auf den Seiten der FDP wurde angemerkt, daß man gegen ein Kryptographie-Verbot sei und für ein E-Mail-Geheimnis.

Kritik an den Entwürfen der Telekommunikations-Überwachungs-Verordnung (TKÜV) und der Technische Richtlinie (TR) wurde durch Vertagen der dafür geplanten Bundestagsdebatte aus der heißen Wahlkampfzeit geschoben. Deshalb ist auch auf den Partei-Websites sonst keine Erklärung dazu zu finden. Welcher Surfer das Glück hat, zufällig auf der Homepage des bündnisgrünen Abgeordneten Manuel Kiper zu stranden (www.bundestag.de/manuel.kiper), bekommt die umstrittenen Gesetzesvorhaben dort sachlich zerpflückt serviert.

Mit Visionen für das Internet hat sich das Parlament bislang nicht befaßt. Auch nach der Wahl, so ist zu befüchten, werden sich die Abgeordneteten dem Thema hauptsächlich über Paragraphen nähern. Es sei verfrüht, Pläne zu debattieren, begründet das etwa der grüne Internetexperte Ingo Ruhmann, wie die Politik breiten Bevölkerungsschichten den Zugang zum neuen Medium erleichtern könne, wenn ein Großteil Angst habe, sich im Internet zu bewegen, weil der Persönlichkeitsschutz dort rechtlich noch nicht geklärt sei. Allmählich setzt sich in der Politik auch die Einsicht durch, daß man Verbrechern im Internet nicht über staatlich regulierte Kryptographie auf die Spur kommt. „Verbrecher können im Gegensatz zum einfachen Bürger verschlüsselte Daten so verstekken, daß sie niemand bemerkt“, führt SPD-Internetexperte Jörg Tauss an. Von der technischen Realität lassen sich deutsche Konservative trotzdem nicht beirren: „Man müßte eine Redaktion vorschalten, die auswählt, was ins Netz geht“, stellt sich Michael Meister von der CDU/CSU vor, immerhin stellvertretener Vorsitzender der Medien-Enquetekomission des Bundestages. Der Gedanke, daß alle Netzkabel Deutschlands durch ein einziges Rechenzentrum gehen könnten, ist freilich reichlich naiv.

Um auf dem Weg in die Informationsgesellschaft überhaupt entscheidungsfähig zu sein, bräuchte ein Großteil der Staatsdiener vor allem von einem etwas mehr: „Medienkompetenz“. Wenn Politiker dieses Schlagwort benutzen, zielen sie damit eher auf die jüngere Generation. Jugendliche sollen mit dem Internet richtig umgehen können und letztlich auch mit Inhalten, die nicht für sie bestimmt sind. Daß Bund und Länder in das Projekt „Schulen ans Netz“ investieren, werde sich bald auszahlen. Deshalb sei die parteienübergreifende Idee, auch Wirtschaftsverbände zur Finanzierung heranzuziehen, nicht so abwegig. Schließlich bekäme die Wirtschaft dann endlich ihre ersehnten Fachkräfte. Das ist typisch für die derzeitige Debatte. Wenn nicht gerade die Gefahren der Kriminalität aus dem Netz beschworen werden, dann seine Bedeutung für den Standort Deutschland.

Deshalb wollen FDP und CDU/ CSU das Internet vor allem für die Anbieter billiger machen. Nur so könnten sich „neue fähige Dienste etablieren und neue Arbeitsplätze schaffen“, betont Michael Meister von der CDU/CSU. Auch die FDP sorgt sich auf ihrer Website um zu hohe Lizenzgebühren für kleinere Netzanbieter. Wichtig sei ihr aber auch, die dezentrale Struktur des Internet zu erhalten. Was Innenminister Kanther im Sinne der leichteren Überwachung des Internet lieb wäre, ist der FDP ein Dorn im Auge: Sind die Infrastukturkosten für kleinere Provider zu hoch, könnten sie leicht von den großen aus dem Netz verdrängt werden. Die Vielfalt der Meinungen und Informationen im Internet wäre somit in Gefahr.

SPD, Bündnis 90/Die Grünen und die PDS wollen dagegen das Netz vor allem für die Nutzer billiger machen. Sie möchten verhindern, daß sich die Bevölkerung in eine kleine informierte Gruppe spaltet, die sich den Internetanschluß leisten kann, und eine große, der das neue Medium verschlossen bleibt. Der Bündnisgrüne Ingo Ruhmann würde am liebsten die Telekom zur Ader lassen. Diese besitze in Deutschland faktisch immer noch das Monopol, Internetsurfer mit hohen Telefongebühren zu peinigen. Die PDS will garantieren, daß „die Teilnahme an der politischen Partizipation im Netz gratis“ ist, sagt ihr Medienexperte Hanno Harnisch. Zumindest die öffentlichen Bibliotheken müßten ans Internet angeschlossen werden, fordert SPD- Experte Tauss.

Aus dem Bericht der Medien- Enquetekomission wissen Parlamentsabgeordnete, daß die Bereiche Fernsehen, Computertechnik und Telekommunikation zusammenwachsen werden. Nun müßte die Politik die „Auswirkungen beleuchten“, greift SPD-Internetexperte Jörg Tauss das Thema zukünftiger Parlamentsdebatten vor. So haben etwa Bündnisgrüne die Vision, daß man das Internet an den Fernseher anschließt, wie bereits in England und den USA. Die Internetscheu sei damit leicht abzubauen, weil die Menschen mit der Fernbedienung längst lockerer umgehen könnten als mit der Computer-Maus.

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