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Der Kandidat, der die Frauenquote halbiert

Er kommt bei Männern besser an als bei Frauen, geht bei der Wahl seiner Gattinnen gern mit dem Zeitgeist und hat in Niedersachsen das Frauenministerium entmachtet: Selbst die Genossinnen in der SPD wissen, daß ein Kanzler Gerhard Schröder keine Frauenpolitik machen wird  ■ Von Bascha Mika

Augen so blau, ein entschlossenes Kinn, anständig breite Schultern, die Figur nicht übel, wenn auch ein bißchen klein geraten. Mit Gerhard Schröder hat die SPD ein ganz passables Exemplar Mann ins Rennen geschickt. Kein politisches Sexsymbol wie einst Willy Brandt; auch keinen feinnervigen Zweifler wie Björn Engholm, der die erotische Phantasie beflügelte. Doch nach dem hölzernen Pfälzer Scharping, der in Sachen Unattraktivität Kanzler Kohl Konkurrenz machte, ist Schröder immerhin einer, der besser aussieht und sich besser anzieht als die meisten Vertreter seiner Kaste. Ist das also ein Mann, der sich allgemein der Gunst der Frauen erfreut und der SPD auch aufgrund seiner Virilität zum Sieg verhelfen könnte?

Wahlkampf ist die Zeit des Buhlens. Durchdringendes Balzgeschrei und brünftiges Werben um die Stimmen der WählerInnen. Das hat zweifellos etwas Unanständiges. Vielleicht wünschen sich deshalb so viele Kommentatoren und politischen Berichterstatter den Wahlkampf nackt. Nicht, um in Zeiten Monica Lewinskys die erogenen Zonen der Kandidaten zu erforschen – nackt im Sinne von bloß: nüchtern, sachlich, ein sauberer Wettstreit demokratischer Kräfte.

Doch Wahlkampf folgt primitiveren Regeln. Die sinnliche Seite des Rituals spielt dabei für die WählerInnen durchaus eine Rolle. Schließlich geht es um Macht. Und Macht ist erotisch besetzt.

Schröder, der seinen Beinamen „Machtmensch“ wie eine Auszeichnung trägt, scheint die Phantasie des Wahlvolks zu stimulieren. Er kommt hervorragend an, das beweisen die Umfragewerte. Wer aber glaubt, daß der Mann, der allzu gern seine „Ich bin ein einfacher Junge, der seiner Mutti versprochen hat, sie eines Tages mit dem Mercedes abzuholen“-Nummer durchzieht, vor allem die Weiblichkeit überzeugt, der irrt. Trotz seines Schwiegersohngrinsens und seines leicht brutalen Sex- Appeals ist Schröder weniger ein Frauen- als ein Männertyp.

Das Wahlverhalten von Männern und Frauen hat sich seit der Bundestagswahl 1972 zunehmend angeglichen. Nicht das Geschlecht, sondern der soziale Hintergrund, Bildung und Alter bestimmen die politische Präferenz. Nur bei Schröder und seinem Sparringspartner Oskar Lafontaine ist das anders. Bei ihrer Beurteilung entzweien sich die Geschlechter deutlich. So deutlich, daß die Mannheimer Forschungsgruppe Wahlen von einem „signifikanten Unterschied“ spricht.

Über mehrere Jahre hat die Forschungsgruppe die Genossen getestet. Ergebnis: Lafontaine hat bei Frauen durchweg die größere Sympathie als bei Männern. Am beliebtesten ist er bei jungen Frauen, am wenigsten mögen ihn ältere Männer. Genau umgekehrt ist es bei Schröder: Er kommt bei Männern, quer durch alle Alters- und Bildungsgruppen, besser an als bei Frauen. Am meisten schätzen ihn ältere Männer, am wenigsten junge Frauen.

Zwar halten Männer wie Frauen gleichermaßen Schröder für einen „Siegertyp“, so die Mannheimer Forscher. Doch dieser Typ weckt bei Frauen offenbar gemischte Gefühle. Macht, Machtmenschen und das Erotische, das ihnen anhaftet, strahlen Verlockung und Bedrohung zugleich aus. Deutlich seltener als Männer finden Frauen Schröder „glaubwürdig“, „tatkräftig“, „verantwortungsbewußt“ und „sympathisch“. Frauen scheinen Schröder einfach stärker zu mißtrauen.

Aber auch der Kandidat, der seinen wölfischen Charme durchaus werbewirksam einzusetzen versteht, tut sich schwer mit dem anderen Geschlecht. In seinem neuen Buch „Und weil wir unser Land verbessern...“ sind 26 Briefe „für ein modernes Deutschland“ abgedruckt, an Frauen gerichtet sind ganze drei. Nicht besser steht es um die Frauenkiste in seinen programmatischen Reden oder um seine Frauenpolitik in Niedersachsen.

Der letzte große Parteitag der SPD, es war im April in Leipzig, lief in seiner ganzen gigantomanischen Henry-Maske-gegen-Rocky-Rocchigiani-Inszenierung auf einen Höhepunkt hinaus: die Rede Gerhard Schröders. Eine Art vorweggenommener Regierungserklärung sollte es sein. Und so kämpfte sich der Kohl-Herausforderer, der ein kleines Publikum spielend beherrscht, im großen Saal jedoch zur Gliederpuppe erstarrt, durch sein vielseitiges Manuskript. „Finanzierungsvorbehalt“, „Globalisierung“, „Leistungswillen“ und „Arbeitszeitpolitik“, das „Modell Deutschland“, „Bündnis für Arbeit“, „mittlere Unternehmen“, „Patentanmeldungen“, „Gerechtigkeit für Handwerksgesellen“.

Nach einer guten Stunde und 17 Seiten Text horchten die weiblichen Delegierten plötzlich auf. Hatte Schröder da von „Gleichberechtigung“ gesprochen? Er hatte. Ganze drei Absätze widmete er dem Spannungsverhältnis von Kindererziehung und Erwerbsleben. Mehr Schröder zu Frauenfragen war nie. „Daß der sich plötzlich für die Vereinbarkeit von Beruf und Kindern einsetzt...“ Die SPD-Abgesandte aus Süddeutschland kombinierte rasch: „Das hat sicher was mit seiner Doris zu tun, die hat ja auch Kind und Beruf.“ Und deshalb war die Delegierte dann auch bereit, ihrem Spitzenkandidaten an diesem Punkt zu glauben.

Schröder, bekannt für seine Sammelfreude bei Ehefrauen, ist nicht der Mann, der die Sozialdemokratinnen im Sturm erobert. Weder politisch noch persönlich. Der Erotikfaktor zwischen den Genossinnen und dem Genossen geht gegen null. „Interessante blaue Augen, aber keine Ausstrahlung als Mann“, bemerkt eine Frauenpolitikerin und hofft, daß die Wählerinnen trotzdem auf ihn reinfallen. Die ganze Skepsis, die dem 1,74 Meter großen Schröder von der Basis seiner Partei entgegenschlägt, verdichtet sich beim weiblichen Fußvolk in einem Satz: „Der hat die typischen Probleme eines kleinen Mannes!“ Was soviel bedeutet wie: zu machtgierig, zu sehr Einzelkämpfer, zu sehr auf Anerkennung versessen.

Schröder hat viele SPD-Frauen vergrätzt, wenn auch nicht auf die besondere Art wie die Genossin Hillu Schröder. Noch vor zehn Jahren wollte er in Niedersachsen ein quotiertes Kabinett. In der letzten Legislaturperiode konnte er immerhin noch vier Ministerinnen vorweisen. Doch nach seinem Wahlsieg in diesem Frühjahr – bei seiner Antrittsrede im Landtag widmete er von 23 Manuskriptseiten einen Absatz der Frauenpolitik – hat er nicht nur die Frauenquote im Kabinett halbiert, sondern auch das bis dahin eigenständige Frauenministerium dem Sozialministerium zugeschlagen.

Üble Machotour, giften die Niedersächsinnen. Dabei beweist Schröder doch nur, wie geschmeidig er sich dem Zeitgeist anpaßt. In den Achtzigern war es chic, den emanzipierten Mann raushängen zu lassen. Der Stand der Gleichberechtigung war Seismograph für den gesellschaftlichen Fortschritt. Nun, gegen Ende der Neunziger, läßt sich mit Frauenpolitik kein Blumentopf mehr gewinnen. So wird sie von Schröder also abserviert, ähnlich wie die Ehefrau, bei der es um die Wurst ging.

Er macht es, heißt es in seinem Umfeld, in diesem Politikfeld nicht anders als in den anderen, die ihm am A... vorbeigehen. Zunächst reagiert er auf Druck von außen und zeigt wenig Eigeninitiative. Sobald aber öffentliche Anerkennung und Sympathiewerte winken, vereinnahmt er die Chose als seinen Erfolg. Bleibt der aus, erlahmt sein Interesse rapide. Politikerverhalten eben.

Parallelen zum Privaten sind allerdings unverkennbar. Auch bei der Wahl seiner Gattinnen surft Schröder mit dem Zeitgeist. Zu jeder Lebensphase die entsprechende Ehefrau. Zwar hat er die Politik der Familie immer vorgezogen; aber der soziale Aufsteiger braucht sie der Vollständigkeit und dem Bedürfnis nach Bürgerlichkeit halber.

Die erste Angetraute, Eva Schubach, war Bibliothekarin und drei Jahre lang Gefährtin des langhaarigen Studenten. Die zweite, Anne Taschenmacher, die Lehrerin, strebte mit dem Anwalt zum etablierten Leben. Die dritte, Hiltrud Hampel, hatte keinen festen Beruf, dafür um so festere Ansichten und den Drang zum Höheren. Medienkompatibel mimte das Paar die gleichberechtigte Partnerschaft, wie sie einem modernen Landesherren gut ansteht. Sie sprach stets im traulichen „wir“, wenn es um seine politischen Ambitionen ging. Er präsentierte sie stets als „meine schöne Frau“, was sie offenbar ruhigstellte.

Als das „wir“ zunehmend zur Belastung wurde, kam Doris Köpf, die vierte. Schröder war sich inzwischen längst Star genug, jetzt brauchte er keine Frau mehr mit Profil, nur noch eine an seiner Seite. Die Politikergattin, fand eine kürzlich veröffentlichte Studie heraus, ist dann der Karriere förderlich, „wenn sie unauffällig, gleichmäßig freundlich zu allen Zeiten, ohne Konturen und Eigenständigkeit kooperiert, kein individuelles Gepräge aufweist und Zufriedenheit charmant ausstrahlt“. Nach Hannelore also Doris.

In Niedersachsen hat Schröder die Frauenkiste ziemlich verfahren. Die Genossinnen sind über den Verlust des Frauenministeriums zutiefst erbost. Auch aus schlechtem Gewissen. Sie haben es Schröder leichtgemacht. Bereits als Waltraud Schoppe 1990–94 Frauenministerin in der rot-grünen Koalition wurde, hatten die SPDlerinnen nichts Besseres zu tun, als sich öffentlich gegen die Grüne zu profilieren. Dabei hatte es Schoppe anfangs nicht leicht. Sie stellte bei der ersten Sitzung des Kabinetts ihre finanziellen und personellen Forderungen für ihr Ministerium, und Schröder rastete aus: sprang auf, brüllte herum und knallte die Tür von außen zu.

1994, Rot-Grün war zu Ende, konnten die SPD-Frauen dann ihre eigene Kandidatin bei ihm durchsetzen: Christina Bührmann. Entschieden die falsche Wahl. Die Frauen-Frau hatte dem ungeduldigen Pragmatiker nichts entgegenzusetzen. Und Schröder ist alles andere als zimperlich mit Leuten, die er nicht achtet. Nahm er schon die Frauenpolitik nicht ernst, warum sollte er dann eine Frau ernst nehmen, die sich über dieses Politikfeld definierte?

Frauen werden für Schröder zum Problem, wenn sie nicht nach seinen Maßstäben funktionieren. Er will sie mit männlichen Verhaltensweisen. Und bekämpft sie dann mit denselben Bandagen wie seine eigenen Geschlechtsgenossen. Ankuscheln is nich. Wer seine rüde Rauhbeinigkeit nicht kontern kann, wer nicht nach dem ihm vertrauten männlichen Muster handelt, wer nicht genauso hart pokert und so arrogant auftrumpft wie er, den nimmt er nicht ernst. Und macht ihn nieder. Nach Bührmanns unrühmlicher Ägide war es ein leichtes, das Frauenministerium im Handstreich zu nehmen. Die niedersächsischen SPD- Frauen knirschten mit den Zähnen, doch sie blieben handzahm. Kein Aufstand.

In der Bundestagsfraktion heißt es nun, Niedersachsen war nur ein Testfall für Bonn: die Probe, wieviel sich SPDlerinnen künftig von ihrem Kanzler werden gefallen lassen, bevor sie auf den Putz hauen. Durch den Coup in Niedersachsen hat sich der Kandidat das Entree bei den Bonnerinnen versaut. Da hilft auch kein Charme mehr. Den Politikerinnen schwant, daß sie von Schröder in puncto Frauenfragen nicht viel zu erwarten haben. „Bei Schröder ist es die falsche Frage, ob er etwas für Frauenpolitik übrig hat“, argumentiert eine Genossin pragmatisch. „Der reagiert nur auf Druck. Es geht nicht darum, was er aktiv macht, sondern was er zuläßt.“ Er werde doch wohl „nicht so blöd sein“, die über 80 Frauen in der Fraktion und ihre Anliegen zu düpieren.

Falls aber doch, üben sich die Frauen schon mal in Drohgebärden: „Er wird sich noch wundern. Er weiß nicht, wie stark wir zusammen sein können.“ – „Er wird uns nichts auf dem silbernen Tablett servieren. Dann müssen wir eben kämpfen.“ Parole Hoffnung: „Er ist hoffentlich intelligent genug zu erkennen, daß Frauenpolitik nötig ist.“

Genossinnen behaupten gern, Schröder könne einfach nicht mit Frauen. Das ist so sicherlich nicht richtig. Zwar zieht er jede Männerrunde, nebst Herrenwitzen und Kumpelei, einem Gespräch mit Frauen vor, aber das ist auch eine Frage seiner Generation. Schröder zeigt die typischen Verhaltensweisen eines im Krieg Geborenen, der als Junge nichts kennengelernt hat außer dem überkommenen Männerbild und als Sohn einer Kriegerwitwe auch noch den Mann im Haus ersetzen mußte.

Emanzipiert ist Schröder dann, wenn es um Leistung geht. Da ist ihm das Geschlecht wurscht und sein Umgang extrem nüchtern. Er hat durchaus eine Reihe profilierter Frauen in Hannover um sich versammelt: so die Juristin und Staatssekretärin Brigitte Zypries, die Ökonomin Christel Möller oder seine Büroleiterin in der Staatskanzlei, Sigrid Krampitz. Die schätze er „bis zum Anschlag“, heißt es in seinem Umfeld: Krampitz sei eine der wenigen, die ihn beeinflussen könne.

Zur Beruhigung der Weiberfront vor der Wahl hat Schröder schon mal drei Ministerinnen für sein zukünftiges Kabinett nominiert: Christine Bergmann fürs Familienressort, Edelgard Bulmahn für Umwelt und Bildung, Herta Däubler-Gmelin für Justiz. Da geht kein Ruck durch das Land.

Die Bonner Republik mit dem Paternalisten Kohl, dem alles erdrückenden Vater, geht. Die Berliner Republik kommt und mit ihr wahrscheinlich der aggressive Antibeschützer Schröder. Unter Kohl sind die Frauen weggedämmert, da ließ sich in Ruhe schlafen. Wer bei Schröder schläft, dem wird die Matratze unterm Hintern weggezogen.

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