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Lieber Métro als Menschenrechte

■ Beim Besuch des französischen Premierministers Jospin in China stehen die wirtschaftlichen Beziehungen im Mittelpunkt. In der Frage der Menschenrechte will Jospin „nicht dogmatisch“ sein

Paris (taz) – Vier Tage dauert der durchschnittliche China-Aufenthalt französischer Spitzenpolitiker. Nach Staatspräsident Jacques Chirac im vergangenen Jahr absolviert ihn ab heute Premierminister Lionel Jospin – begleitet von einem großen Gefolge, zu dem auch Wirtschafts- und Finanzminister Dominique Strauss-Kahn gehört. Ziel der Reise sind neue Geschäfte – unter anderem in den Bereichen Telekommunikation, Computertechnik und Luftfahrt. Bei Menschenrechten hingegen, so ließ der Sozialist Jospin vor seiner Abreise wissen, wolle er „nicht dogmatisch“ sein. In den vergangenen Tagen sind mehrere chinesische Dissidenten festgenommen worden, die die Zulassung einer Oppositionspartei beantragen wollten.

China fasziniert in Frankreich seit Generationen. Immer wieder waren es französische PolitikerInnen, die den unterbrochenen Kontakt neu anknüpften. Am spektakulärsten tat das 1953 General de Gaulle, der als erster westlicher Staatschef nach der chinesischen Revolution 1949 die Volksrepublik anerkannte und dessen diplomatische Rehabilitierung einleitete. 1994 strebte der damalige Premierminister Edouard Balladur nach Normalisierung, nachdem sich die bilateralen Beziehungen nach der Niederschlagung der chinesischen Demokratiebewegung 1989 und dem Verkauf französischer Waffen an Taiwan merklich abgekühlt hatten.

Seither herrscht zwischen Peking und Paris neue Normalität. Als Chirac kurz vor den Parlamentswahlen im vergangenen Jahr in China weilte, meldeten sich in Paris nur wenige KritikerInnen zu Wort. Unter ihnen die Schriftstellerin Marie Holzmann mit den Worten: „Paris-Peking: kaufen, verkaufen und schweigen.“ Größere französische Proteste gegen die Menschenrechtsverletzungen des chinesischen Regimes gab es nicht. Peking wußte das zu schätzen und bescherte Chirac gleich am ersten Besuchstag den Kauf von 30 Airbus-Flugzeugen.

Gelegenheit zu einem öffentlichen Fernsehauftritt, wie sie US- Präsident Bill Clinton im Juni dieses Jahres in China hatte, bekam Chirac nicht. Dafür ist Frankreich, allen Pariser Begeisterungshymnen – auf die große chinesische Kultur, auf die gemeinsam favorisierte „Multipolarität der internationalen Beziehungen“, auf das chinesische Bevölkerungswachstum (einmal Frankreichs Bevölkerung alle vier Jahre) und auf die gemeinsamen Geschäfte – zum Trotz, vielleicht doch zu klein.

In Paris trauten sich im Januar weder Chirac noch Jospin, noch Außenminister Védrine, den soeben aus China ausgewiesenen Dissidenten und langjährigen politischen Gefangenen Wei Jingsheng zu empfangen. Zuvor hatte das Pekinger Außenministerium gewarnt: „Wei ist ein Krimineller, der chinesische Gesetze gebrochen hat.“ Wei, den Clinton immerhin „privat“ empfangen hatte, mußte sich in Paris mit zweitrangigen PolitikerInnen zufriedengeben. Ihnen empfahl er bei einer Rede vor dem Auswärtigen Ausschuß der Nationalversammlung, „Druck auf die Unterdrücker in der chinesischen Führung zu machen“. Nach Wei kam im April der neue chinesische Ministerpräsident Zhu Rongji nach Paris. Er wiederholte drei Tage lang die gern gehörte Aufforderung, in China zu investieren. „Nutzen Sie die Möglichkeiten des chinesischen Marktes“, beschwor er, „das Investitionsklima ist ideal.“

Der Handel zwischen China und Frankreich ist stetig auf zuletzt 17,5 Millarden Mark gestiegen. Frankreich hat in China die größte Raffinerie und das größte Atomkraftwerk gebaut. Jetzt hat Paris große Eisenbahnprojekte, darunter eine Schnellzugverbindung Peking–Shanghai, und Pläne für eine dritte U-Bahn-Linie für Shanghai im Angebot. Bisher liegt Frankreich nur auf dem 13. Rang der Lieferländer Chinas. Das ist Frankreich – das schließlich Mitglied im Weltsicherheitsrat ist und sich selbst als Großmacht einstuft – entschieden zuwenig. Dorothea Hahn

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