Never mind the Pseudos

Punk jetzt auch als Entwicklungsroman: James Merendinos Film erzählt, wie die Sache scheitern mußte, damit alles weitergehen kann. Til Schweiger macht auch mit!  ■ Von Thomas Winkler

Und Amerika?“ fragt die Stimme aus dem Off. „Fuck Amerika!“ gibt sie sich selbst die Antwort. Ja, so haben wir uns das Dasein als Punkrocker immer vorgestellt: Blaue Haare aufm Kopf und immer einen lustigen Spruch auf den Lippen.

„Punk!“ beginnt mit dieser kleinen Ansprache an seine Zuschauer, weil die schon einiges klarstellt: Daß das eigene Leben gar nicht erbärmlich genug sein kann, als daß man so ein Land wie Amerika nicht noch viel erbärmlicher finden kann. Und weil Amerika in Salt Lake City am erbärmlichsten ist, spielt „Punk!“ in der Hauptstadt des Mormonenstaates Utah. Im Original gab die Stadt sich sogar für einen Teil des Titels „S.L.C. Punk!“ her. Warum sie ausgerechnet dort leben, wissen Stevo, der mit den blauen Haaren, und Heroin Bob, der so heißt, weil er panische Angst vor Spritzen hat, wohl selbst nicht. Wahrscheinlich deshalb: Rumhängen, sich die Haare hochstellen, einen Irokesen rasieren, übel karierte Jacketts tragen, Bier zum Frühstück trinken und Nazis aufmischen kann man nun wirklich überall.

Aber das Bier ist in Salt Lake City halt noch dünner als anderswo in den Staaten, was komische Exkursionen nach Wyoming zur Folge hat, wo es sogar noch hinterwäldlerischer zugeht. Trotzdem geben Stevo & Co. sich sich alle Mühe, gehen sogar aufs College, „um das System zu stürzen“. Bis dahin sind sie allerdings vor allem damit beschäftigt, sich von den Pseudos abzugrenzen. Denn man kann alles sein, ein Spießer oder ein Acid-Head, ein Hippie oder Satanist, Rocker oder Mod, aber nichts ist schlimmer, als ein Punk zu sein, der kein echter Punk, sondern ein Pseudo ist.

Pseudo ist der zentrale Begriff. Stevo brüllt ihn in die Kamera und verspritzt sein Bier dabei. Um ihn dreht sich alles im Leben von Stevo und Bob. Schließlich war Punk niemals positiv definiert. Man war kein Punk, weil man die Sex Pistols und die Ramones hörte, sich Sicherheitsnadeln durch die Backe jagte oder Fanzines zusammenklebte. Man war doch vor allem Punk, weil man gegen alles war, vor allem gegen Pseudos. So wollte man nie werden. Man wollte überhaupt nichts werden. Damals jedenfalls noch.

Geschrieben und inszeniert wurde „Punk!“ von James Merendino. Über dessen allererste Regiearbeit „Witchcraft IV“ fand das Filmlexikon folgende nette Worte: „Ein in jeglicher formaler Hinsicht inkompetentes Schundprodukt, konfus und langatmig erzählt.“ Das, muß man zugeben, hat sich doch gebessert. „Punk!“ ist eine souverän erzählte Komödie, wenn auch mit etwas ungewohnten Protagonisten. Manche Szene erinnert gar an „Trainspotting“, jedenfalls was den eher melancholischen Tonfall aus dem Off betrifft, der den Film zu einem durchaus romantisierenden Abgesang auf einen gescheiterten Lebensentwurf werden läßt.

Das Problem dieses Films aber ist nicht seine – zwar nicht heftige, aber doch latent vorhandene – Frauenfeindlichkeit. Auch nicht, daß der Ausstatter sich bei den T-Shirts vergriffen hat, die viel zu sauber und kaum zerfetzt sind. Diesem Film fehlt vor allem eine Zielgruppe, die nicht die ganze Sozialhilfe in Bierbüchsen anlegt. Es gibt einfach nicht mehr genug Pseudos, die sich gerne vorführen lassen würden, wie es richtige Punks so treiben. Die Übriggebliebenen von damals und die Veteranen, die immer noch dabei sind, werden sich standhaft weigern, sich wiederzuerkennen. Konsequenterweise kam der Film denn auch in den USA erst gar nicht in die Kinos. Fraglich ist aber auch, ob der Testmarkt Deutschland ausreichend reagieren wird.

Irgendwann wird auch ein Punkrocker mal älter. Und wie kommt man dann da wieder raus? Weil selbst „Punk!“ keine historische Dokumentation, sondern ein Stück Kino ist, ist die Antwort auch hier mal wieder die Liebe. Die weist den Weg aus dem selbstgewählten Ghetto. Daß das durchaus tragisch enden kann, geht da eher als unmotivierte dramaturgische Zuspitzung durch.

Schlußendlich erzählt „Punk!“ keine moderne Geschichte, sondern müht sich wie ein klassischer Entwicklungsroman. Er erzählt von einem dann doch höchst durchschnittlichen Leben, das schon deshalb scheitern muß, damit es weitergehen kann. Das Scheitern liegt nicht darin, daß Stevo ebenso wie sein Ex-Hippie- Vater nach Harvard geht und die Juristenlaufbahn einschlägt. Das Scheitern liegt darin, daß er einsehen muß, daß auch er halt nur ein Pseudo war. Weil nur Pseudos sich ändern. Und wer kein Pseudo ist, lebt nicht lange genug, um davon zu berichten. Das muß einen mit Anfang Zwanzig aber ja nicht davon abhalten, das Unmögliche doch zu versuchen.

P.S.: Til Schweiger spielt einen Belgier. Jedes Wort mehr wäre eines zuviel.

„Punk!“ Buch und Regie: James Merendino. Mit Matthew Lillard, Michael A. Goorjian, Annabeth Gish, Jennifer Lien, Til Schweiger u.a. USA 1998