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Die UNO, Retterin in der Not

Konzernvorstände und Welthandelsorganisation rufen nach der UNO. Sie soll das „Finanzierungssystem sichern“, ohne den Welthandel einzuschränken  ■ Von Andreas Zumach

Genf/New York (taz) – Gleich zum Auftakt der mit hochrangigen Vertretern internationaler Konzerne und der UNO besetzten Tagung zum Thema „Globalisierung und die Folgen“ in Genf verlor Nestlé-Chef Helmut Maucher die Fassung. „Die Warnungen vor einer angeblichen Umarmung der UNO durch das Big Business sind ekelhaft“, erregte sich der Vorstandsvorsitzende der Schweizer Nestlé AG. Mit einem Jahresumsatz von knapp 20 Milliarden Franken sowie Niederlassungen in rund 90 Staaten ist das Unternehmen der größte Nahrungsmittelkonzern der Erde. „Die Kritiker der Veranstaltung haben sich disqualifiziert“, schimpfte Maucher in Richtung eines verlorenen Haufens von 200 Demonstranten, die erst Stunden später vor dem UNO- Palast friedlich gegen die Veranstaltung und gegen das geplante Multinationale Investitionsabkommen (MAI) protestierten.

Maucher (71), seit 50 Jahren in Nestlés Diensten, ist ein Konzernmanager der alten Schule. Unter seiner Ägide als Chef der deutschen Nestlé in den siebziger und achtziger Jahren wurden Kritiker des Vertriebs von Milchpulver in Drittweltländer als Psychopathen und kommunistische Spinner denunziert. Die nach wie vor restriktive Pressepolitik der Konzernzentrale in Vevey am Genfer See erinnert selbst wirtschaftsfreundliche Journalisten an die Praxis von Regierungen des ehemaligen Ostblocks. Insofern ist Maucher als amtierender Präsident der „Internationalen Handelskammer“ (ICC) eine Fehlbesetzung.

Besser werden Philosophie und Strategie dieser Dachorganisation von 130 nationalen Handelskammern und mehreren tausend Unternehmen vom britischen Unilever-Chef Niall Fitz Gerald repräsentiert. „Statt die Kritiker der Globalisierung zu ignorieren, müssen wir sie in einen kritischen Dialog einbinden und versuchen auf ihre oftmals berechtigten Bedenken zu reagieren“, betonte Fitz Gerald wenige Minuten nach Mauchers Ausbruch.

Mit der Strategie des „kritischen Dialogs“ und dank ihrer finanziellen Ressourcen entwickelte sich die ICC zu einer der einflußreichsten regierungsunabhängigen Organisationen (NRO) innerhalb der UNO. Die von vielen Staaten des Südens kritisierte Entscheidung des ehemaligen UNO-Generalsekretärs Butros Butros Ghali, die Mitte der siebziger Jahre geschaffene UNO-Abteilung zur kritischen Beobachtung transnationaler Konzerne aufzulösen, erfolgte unter Einfluß der ICC. Zunächst agierte die ICC noch weitgehend unbemerkt von einer größeren Öffentlichkeit, die mit dem Begriff NRO vor allem Umweltschutz- oder Menschenrechtsorganisationen verbindet.

Das änderte sich, seit UNO-Generalsekretär Kofi Annan im Juli 1997 „Dialog“, „Partnerschaft“ und „Kooperation“ mit Wirtschaftsunternehmen zum Bestandteil seines Programms zur UNO- Reform erklärte. Die Milliardenspende von CNN-Chef Ted Turner markierte kurz darauf symbolisch den öffentlichen Auftakt für die Bereitschaft der Wirtschaft, der vor allem durch die Erpressungsstrategie der USA finanziell strangulierten UNO zumindest punktuell auszuhelfen – und damit auch verstärkt Einfluß zu nehmen.

Doch seit dem Zusammenbruch der asiatischen Finanzmärkte mit ihren verheerenden Konsequenzen für Millionen Menschen sowie der Krise in Rußland beherrscht das Thema „Globalisierung und die Folgen“ den Dialog zwischen UNO und Konzernen. Die Kritik an den negativen Auswirkungen der Globalisierung ist nicht mehr länger nur ein Thema der UNO- Organisation für Handel und Entwicklung (UNCTAD) oder der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO). Auch neoliberale Globalisierungsbefürworter leugnen inzwischen nicht mehr, daß es einen „Regelungsbedarf“ gibt – allerdings nur „multilateral“, da nationale Regierungen und Parlamente laut der herrschenden Globalisierungslehre keine Gestaltungsmöglichkeiten mehr hätten.

Doch es bleibt ein Dilemma: Die multilateralen Lieblingsinstrumente der Globalisierungsverfechter wie Weltbank und Internationaler Währungfonds (IWF) haben sich als unzureichend oder falsch erwiesen. Nach der jüngsten Entscheidung des US-Kongresses, der Weltbank statt der von Clinton geforderten 18 Millarden Dollar lediglich 3,2 Milliarden Dollar zur Unterstützung für Asien und Rußland zu überweisen, fürchten viele Konzerne um ihre Investitionen in diesen Regionen. Daher ist auf einmal wieder die UNO gefragt. Sie soll ein neues „weltweites Finanzierungssystem“ schaffen, verlangten die Konzernchefs sowie die Generaldirektoren der Welthandelsorganisation (WTO), Renato Ruggiero, und der UNCTAD, Rubens Ricupero, auf der ICC-Tagung. Vor der UNO-Generalversammlung hatten der britische Premier Tony Blair und Generalsekretär Annan dasselbe gefordert.

Noch steht allerdings nicht mehr als ein Titel im Raum. Was die verschiedenen Seiten unter einem „neuen weltweiten Finanzierungssystem“ verstehen, ist offen. Ruggiero und die Konzernchefs Maucher und Fitz Gerald markierten allerdings eine klare Linie: „Unter keinen Umständen darf es zu neuen protektionistischen Maßnahmen kommen. Die Liberalisierung des Welthandels muß programmgemäß weitergehen.“

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