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Unzählbare Samen für schräge Vögel und bunte Fische

■ Seit der Änderung des Betäubungsmittelgesetzes leiden viele Headshop-Betreiber unter verstärkter staatlicher Repression und existenzbedrohenden Umsatzeinbußen

Razzia, in Handschellen abgeführt werden, 30.000 Mark Kaution – und all das wegen Vogelfutter. Was die Polizisten im Growshop „Blackman“ in Stuttgart fanden, als sie den Laden im April stürmten, waren lediglich mehrere hundert Kilo Vogelfutter-Hanfsamen in großen Säcken. Trotzdem wittert die Staatsanwaltschaft einen schwerverbrecherischen Großdealer am Werke: Die Anklage gegen Blackman-Inhaber Jochen Forer lautet auf „unternehmerischen Handel mit Betäubungsmitteln“. Hintergrund der Verfolgung ist die 10. Änderung des Betäubungsmittelgesetzes: Seit Februar ist es strafbar, „zählbare Mengen“ Hanfsamen „zum unerlaubten Anbau“ zu besitzen und zu verkaufen.

Weder war das Stuttgarter Vogelfutter für den illegalen Anbau bestimmt, noch wurden die Hanfsamen teuer in kleinen Portionen an Hobbygärtner verkauft. Trotzdem kann Forer, wenn er schuldig gesprochen wird, für mindestens ein Jahr ins Gefängnis wandern. Ein Beispiel für die zunehmende Kriminalisierung der Cannabiskultur. Das Samenverbot hat die deutsche Cannabisszene verändert. „Die Zeiten des Samenhandels sind vorbei“, erzählt ein Verkäufer im Berliner Growshop „Kaya“. Zwar führte das Verbot im Dezember und Januar zu einem kurzfristigen Boom in den Hanfläden. Schließlich galt es, sich mit Samen einzudecken, bevor man als Selbstversorger nach der Gesetzesnovelle plötzlich als verbrecherischer Straftäter dastünde. Doch mit den Rekordverdiensten ist es jetzt vorbei. Umsatzeinbußen von bis zu 80 Prozent haben einzelne Growshops seit Februar zu verkraften. In Berlin bedeutete das bereits für zwei Hanfgeschäfte das Aus. Auch die Hanfzeitschrift Highlife mußte ihr Erscheinen einstellen, weil die Anzeigen der Growshops und Großhändler fehlten.

Doch nicht alle jammern: Das Berliner HanfHaus wird seit dem Verbot mehr Samen los als vorher – allerdings zu einem niedrigeren Preis. Das Vogelfutter „für Hänflinge, Wellensittiche und andere schräge Vögel“ kostet 25 Mark. Die Packung enthält zehn Gramm einer speziellen Hanfsamensorte aus der Schweiz. Findige Geschäftsleute setzen auf andere Tierfreunde: Hanfsamen als Fischköder. Angler können ab jetzt nicht nur Brotkrumen und Würmer verfüttern, denn auch Hanfsamen locken Fischschwärme an. Bei anderen Hanfanbietern steht als Ersatzprodukt fürs Saatgut ein Geschicklichkeitsspiel im Regal. Statt wie sonst üblich mit Holzkügelchen, spielt man dieses Spiel neuerdings mit Hanfsamen.

Wem mit spielen oder angeln nicht über die illegale Gärtnerleidenschaft geholfen ist, kann immer noch im Internet shoppen gehen. Hanfsamenläden im Netz verkaufen weiterhin die Samen, die, heimlich zu Hause ausgesät, ein Kifferherz höher schlagen lassen. Andere greifen statt zu Samen inzwischen zur fertigen Pflanze. So flüstert ein Kunde eines Berliner Growshops: „Ich kauf' mir Setzlinge aus Hamburg, wo das Betäubungsmittelgesetz nicht so restriktiv angewandt wird.“ Um die Samenkultur trotzdem zu bewahren, ruft die Gruppe Arche 2000 aus Lüchow-Dannenberg zur Einrichtung von Samenbanken auf. Die Bevölkerung soll Hanfsamen zur Arterhaltung im heimischen Gefrierschrank tiefkühlen. Schließlich handele es sich um Liebhaberobjekte, die für die Nachwelt zu schützen seien.

Auch die „Drogenpolitische Guerilla“ will der Gesetzeslage nicht nachgeben. Im Frühjahr verteilte sie eine Tonne Hanfsamen in der ganzen Bundesrepublik. Als Protest gegen das Hanfsamenverbot erhielten auch Bundestagsabgeordnete je ein Tütchen Hanf. Im April beschlagnahmte die Staatsanwaltschaft zwar die letzten acht Kilo, aber das Nachspiel läßt noch auf sich warten. Und der Widerstand geht weiter. Die Guerilla- Aktivisten rechnen fest mit einem Regierungswechsel im September, von dem sie sich eine Liberalisierung der Drogenpolitik erhoffen. Kirsten Küppers

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