: Klassentreffen der Rebellen
■ Jenseits aller Konventionen: Beim Filmfest wird an die Radikalinskis der Hamburger Cooperative gedacht
Angepaßt sind sie nicht. Deswegen haben sie ja auch alle keine Karriere gemacht. Sie haben ihre Ideale weiter behalten und haben sich nicht dem Fernsehapparat, dem Publikumsgeschmack und der Quotenjägerei untergeordnet“, kommentiert Abaton-Chef Werner Grassmann. Die Rede ist von einer Gruppe aufsässiger Avantgardisten, die vor 30 Jahren in Hamburg die erste deutsche Filmcooperative ausriefen. Grassmann war damals erster Geschäftsführer des Unternehmens, das nach New Yorker Vorbild von den hiesigen Undergroundfilmern gegründet wurde, um Vorführung und Vertrieb ihrer radikalen Arbeiten zu gewährleisten. Er organisierte den wilden Filmfreunden schon damals ein Dach über dem Kopf: Sein kleines Kino in der Brüderstraße bot ein Forum des etwas anderen Filmgeschmacks. Mit dem spektakulären Film-In machten die rebellischen Cineasten erstmals auf sich aufmerksam und präsentierten 72 Stunden Film non-stop.
Jetzt kommt die Gruppe zum „Klassentreffen“ anläßlich der Premiere eines Dokumentarfilms über sie selbst zusammen: Christian Bau bringt mit Die kritische Masse Licht in ein Kapitel fast vergessener Filmgeschichte. Neben vielen Ausschnitten aus dem „Anderen Kino“, wie die Autoren es selbst nennen, sind bisher unveröffentlichte Fotos zu sehen. In Gesprächen zeichnet Bau ein Portrait der unangepaßten Clique von einst, die ihren Ideen bis heute treu geblieben ist. Jenseits vom ästhetischen und inhaltlichen Diktat des US-Kinos und vom „Jungen Deutschen Film“ in München entwickelte sie ein Underground-Kino. Die Produktionen verweigerten sich gängigen Genres und waren sowohl künstlerisch als auch politisch innovativ – selbst an den Vorführtechniken wurde herumexperimentiert.
Die Nacht am Sonnabend im Abaton verspricht lang zu werden, denn voraussichtlich werden nach der Uraufführung von Die kritische Masse fast alle ehemaligen Coop-Mitglieder zum „Klassentreffen“ anwesend sein, um altes Material zu sichten. Grassmann weckt Neugierde auf „eine Nacht ohne festes, strukturiertes Programm. Es wird alles aus dem Bauch heraus laufen. So, wie das früher auch war. Wenn man Lust hat, dies oder jenes zu tun, dann wird das eben gemacht.“
Isabel Gentsch
„Die kritische Masse“: heute, 22.30 Uhr, Abaton. Im Anschluß (Eintritt frei) laufen bis c.a. 3 Uhr morgens Arbeiten der Cooperative.
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