Danke (20 und Schluß)
: Weiter so, Wechsel!

■ Wir glauben, daß am Sonntag abend alles vorbei ist. Das ist ein großer Irrtum

Jede große Wahl hat ihren großen Irrtum. Wir glauben, daß morgen abend alles vorbei ist. Irrtum! Es ist schon vorbei, und zwar seit heute morgen.

In meinem Briefkasten fand ich ein offizielles Schreiben. Darin wurde ich informiert, daß ich nicht mehr gebraucht werde. „Sehr geehrter Herr König“, hieß es, „die Bundestagswahl fällt aus. Das Wahlergebnis steht bereits fest. Wir danken Ihnen trotzdem für Ihr Interesse. Ihr Bundeswahlleiter.“

Sollte das ein Witz sein? Vielleicht ein perfider Wahlkampftrick der SPD? Oder eine große Verschwörung? Kenneth Starr?

Und wenn es stimmte? Aber wer hatte dann gewonnen? Schröder? Oder etwa...?

Ich rief beim Bundeswahlleiter an. Dort meldete sich nur eine Stimme auf dem Anrufbeantworter. „Sehr geehrte Wähler, der Bundeswahlleiter hat entschieden, daß die Sehnsucht der Mehrheit der deutschen Bevölkerung nach einem Wechsel bereits durch die Wahlkampagne der SPD erfüllt worden ist. Die Notwendigkeit für eine Wahl im herkömmlichen Sinne entfällt daher. Der Wechsel wird zum Wahlsieger erklärt. Hinweise, wie die sich daraus ergebenden praktischen Fragen gelöst werden können (Koalitionsverhandlungen, Regierungsbildung, Zustimmung zum Nato-Einsatz im Kosovo), nehmen wir unter der Nummer 0611-753444 entgegen.“

Endlich hat mal einer durchgegriffen, dachte ich. Das mit den Wahlen konnte ja nicht ewig so weitergehen. Vor lauter Begeisterung machte ich mich sofort an die Umsetzung der praktischen Fragen. Als erstes entschied ich, den Wahlkampf auf unbestimmte Zeit fortzusetzen. Wenn der Wahlkampf selbst den Wechsel herbeigeführt hatte, konnte er so schlecht nicht sein.

Der Kanzler. Das muß einer sein, der den Wechsel repräsentiert. Schröder kommt nicht in Frage, der wird als Kandidat in seiner Dauerkampagne gebraucht. Einer aus seinem Umfeld? Vielleicht Marius Müller- Westernhagen? Der erinnert mit seiner strengen schwarzen Brille und seinem kantigen Gesicht an den jungen Erich Honecker. Das vermittelt ein Gefühl von Aufbruch. Westernhagen ist gekauft. Aber was passiert mit denen, die an Kohl hängen? Man könnte ihnen ermöglichen, daß sie sich in Privatstunden von Kohl regieren lassen.

Koalitionsbildung, Bundeshaushalt, Chefsache Aufbau Ost, Kosovo – für alles, was in den nächsten Wochen so anstand, entwarf ich Konzepte. Zwischendurch schwärmte ich immer wieder vom Bundeswahlleiter. Ein kluger Mann!

Von seiner Entscheidung profitiert jeder. Sie alle haben morgen frei. Keine Hochrechnung, keine Bonner Runde! Schauen Sie doch mal wieder Arte. Da gibt's ab 20 Uhr einen interessanten Themenabend über das Schicksal mosambikanischer Landarbeiter.

Danke, Wechsel! Jens König

Der Autor ist Ressortleiter Inland der taz