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Gewonnenes Schaf

Zwei Broschüren liefern zehn bis zwölf gute Gründe, nicht aus der Kirche auszutreten  ■ Von Eva Wolfangel

Gibt es gute Gründe, in der Kirche zu sein? Das hat sich der Hamburger Andreas S., Noch-Mitglied, auch gefragt und an die „sehr geehrten Damen und Herren der Kirche“ geschrieben. „Zwölf gute Gründe, in der Kirche zu sein“ brachte daraufhin die „Projektgruppe Glaubensinformation“ der Nordelbischen Kirche Hamburg zu Papier und – für den Fall weiterer Zweifler – auch gleich zur Druckerei. Die Broschüre fand reißenden Absatz, so daß die zwanzigtausender Auflage vom Sommer diese Woche noch weitere dreißigtausend hergestellt werden.

Pastor Heinrich Westphal kennt solcherlei Briefe zur Genüge: „Wir hören seit Jahrzehnten vermeintliche Gründe, aus der Kirche auszutreten.“ Über die können Austrittswillige jetzt noch mal nachdenken, wenn sie das neue Faltblatt, das über die Gemeinden bundesweit verteilt wird, in die Hand gedrückt bekommen. Und bei Andreas S. zeigte sich schon der erste Erfolg: In ihm habe die Kirche „ein Schaf zurückgewonnen“, so Westphal.

Ob Andreas S. von der Geburt bis zum Tod „auf geheimnisvolle Weise“ von der Kirche begleitet wird, wie der dritte der zwölf guten Gründe verspricht? Oder ob ihn die „Wahrheit der Kirche“ überzeugt hat, „die Menschen sich nicht selber sagen können“, wie in Grund eins behauptet? Vielleicht hat ihn auch Punkt fünf überzeugt: In der Kirche finde man „Ruhe und Besinnung“. Oder ihm ist gar ein eigener, dreizehnter guter Grund eingefallen, dessentwegen er nun doch in der Kirche bleibt? Die Projektgruppe Glaubensinformation habe ursprünglich elf Gründe aufgelistet, so Westphal, „doch dann dachten wir, zwölf ist eine schöne Zahl“.

Nur zehn gute Gründe hingegen hat eine „Gruppe junger Pastoren“ in Hamburg unter dem Motto „Kirche macht Sinn“ ganz unabhängig von Westphal und seinem Projekt entworfen. Pastor Thies Gundlach ist einer von ihnen und er findet, mit zehn Gründen sei „alles Wichtige genannt“. Die jungen Pastoren hätten schließlich auch eine andere Zielgruppe, „randständige Leute“, die zwar Angebote der Kirche nutzten, aber kein Mitglied seien. „Imagearbeit“ müsse die Kirche gegenüber solchen Leuten leisten und deshalb sei die Broschüre „Kirche macht Sinn“ von einer Werbeagentur kundenfreundlich formuliert und layoutet worden. Lediglich die Inhalte seien vorgegeben worden.

Vorbehalte, wie die Befürchtung, die Gruppe junger Pastoren wolle aus der Kirche ein Wirtschaftsunternehmen machen, hört Gundlach oft. Von der Wirtschaft zu lernen, findet er, kann der Kirche nicht schaden, und er ist sich sicher: „Die Wirtschaft ist weder vom Teufel noch vom lieben Gott.“

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