: Mein Bauch und ich Von Falko Henning
Lange Zeit stand es auf der Kippe, man konnte sich streiten, ob ich tatsächlich Bauch bekomme oder nicht, vielleicht schon habe, oder wenigstens Bauchansatz. Sehe ich mich jetzt beim Vorbeigehen in einem Schaufenster oder Spiegel, muß jeder Zweifel schwinden. Was soll das da sein, was sich da über den oberen Rand meiner Hose schwappt? walkt? wölbt?
Manchmal wiege ich mich, es sind 75 1/2 Kilo, das ist sicher nicht viel und längst noch im Normalbereich. Und trotzdem hat sich da ein Bauch entwickelt. Er wiegt ungefähr fünf bis sechs Kilo, denn ich erinnere mich noch, vor 10 Jahren wog ich 69 Kilo, manchmal sogar mit Kleidung und Schuhen.
Ich fragte Heidi und sie sagte, das wäre ganz normal. Früher, da wären die Leute mit 35 gestorben und dann auch dick gewesen. Und ich brauchte doch nur mal Tiere anzuschauen, alte Tiere hätten doch auch Bauch. Es ist alles nur natürlich. Ich weiß jetzt, woran ich bin. Ich bin ein altes Tier. Noch keine 29 Jahre alt, bin ich schon ein altes Tier mit Bauch. Wie ein Hängebauchschwein in einer WG, das die Müslis sich halten, die es doch nie über sich bringen werden, es zu schlachten. Dann lieber weiter mit Sahnetörtchen füttern, bis es an Herzverfettung eingeht.
Ich frage Heidi, ob es wirklich Frauen gibt, die Bauch erotisch finden, oder ob das nur eine Legende beleibter Herren ist. Sie sagt, daß eine Frau, die eine sehr erotische Erfahrung mit einem Bäuchigen gemacht hat, vielleicht sehr wohl darauf steht.
Ich weiß nicht, woher es genau kommt. Natürlich das Bier, ich trinke es gern und regelmäßig. Jetzt zum Beispiel gerade das dritte. Doch sonderbar, ich trinke viel weniger als früher. Und jetzt entwickelt sich der Bauch? Sammeln sich die Biere der vergangenen Jahre an, so wie Schwermetalle oder Arsen? Natürlich ist es genetisch, mein Vater ist mit den Jahren dick geworden, und der ist Sportlehrer, jetzt als Rentner immer noch aktiver Sportler. Statt eines Damoklesschwertes hängt ein Damoklesbauch über diesem Zweig der Familie, wölbt sich heraus über den Hosenbund, wächst als ein Teil von uns.
Vielleicht könnte ich es in den Griff kriegen, diese und jene Übungen, dieses und jenes Essen, dieses nicht. Weniger regelmäßiges Bier, öfter mal eine Runde um den Block. Und mit noch einer Dreiviertelstunde mehr am Tag kriege ich auch den berühmten Waschbrettbauch in echt. Doch andererseits, es ist die pure Eitelkeit. Und bin ich denn so eitel? Es ist nicht, daß ich diese Antibauchübungen für so unerträgliche Folter hielte. Es ist vielmehr die Langeweile dabei, die mich abhält. Und Frauen sind es merkwürdigerweise ja auch nicht, die ein Bauch so abstößt. Oder doch? Würde es mir Heidi erzählen?
Was werde ich also in Zukunft tun? Immer mal wieder auf die Waage steigen, mit Erstaunen und ein wenig Angst sehen, wie der Zeiger weiter auf die 80, vielleicht irgendwann auf die 90 Kilogramm zugeht. Auf dem Sofa liegen und bei den Simpsons darüber nachdenken, wie merkwürdig doch diese Welt konstruiert ist, da wird man geboren, wächst, wird dicker, vielleicht sogar richtig dick.
Doch irgendwann kann man nichts von alledem mitnehmen in diese andere Welt, aus der man vor 70 oder 80 Jahren aufgebrochen ist.
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