: Freundlich durch Fortbildung
Karstadt versucht, seinen 60.000 MitarbeiterInnen das Lächeln anzutrainieren. In Lehrbüchern wird das Positive gesucht – das auch der unsympathische Kunde habe ■ Von Holger Wicht
Berlin (taz) – Paula hat verschlafen. Katzenwäsche, hektisches Frühstück. Paula verpaßt die U-Bahn. Natürlich! In letzter Minute erreicht sie ihren Arbeitsplatz: eine Karstadt-Filiale, irgendwo in Deutschland. „Nicht mein Tag heute!“ denkt sie – und das bekommen die Kunden einen bösen langen Tag lang zu spüren.
Paula steht als fiktives Lehrbeispiel für die knapp 60.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Warenhauskette. Sie alle lernen seit Anfang Juni, wie solche vermeintlich schwarzen Tage zu retten sind. Der Konzern hat zur Nettigkeitsoffensive geblasen: Freundlich durch Fortbildung.
Der anonyme Konsumtempel soll ein „Marktplatz der Beziehungen“ werden, patzige Antworten unmotivierter VerkäuferInnen der Vergangenheit angehören. Um sich am Markt als freundlicher Rufer in der Dienstleistungswüste zu etablieren, schuf der Konzern den „Spirit Karstadt“. Das Verkaufsgespräch, das von Herzen kommt, wird ausgiebig trainiert. Vier großformatige Lehrbücher zur liebevollen Kundenbetreuung gibt's zur Einführung für die Belegschaft.
Am Anfang steht die Kunst des positiven Denkens. Denn Paula könnte die Sache ja auch so sehen: „Gerade noch geschafft! Jetzt bin ich in Schwung für einen guten Tag.“ Doch Paula hat sich unbewußt entschieden, nur die negativen Seiten wahrzunehmen. Dabei kann sich doch, so suggeriert der Karstadt-Spirit, jeder „frei entscheiden, ob er seinen Tag lieber unter dem Gewicht der schweren Last auf den Schultern verbringen möchte oder fröhlich die guten Seiten genießend. Entscheiden Sie sich, es ist Ihr Tag, Ihre Woche, Ihr Jahr, Ihr Leben.“
Positiv denken
Die Illustration dazu: eine Brille mit einem rosaroten und einem dunkelblauen Glas, ein vierblättriges Kleeblatt. Das riecht arg nach Lebenshilfe der Schublade „Think pink!“ Tatsächlich könnte man fast durchgängig das Wort „Kunde“ durch „Mitmensch“ ersetzen. Statt auf Disziplin und Vorschrift setzt Karstadt auf Kooperation und Spaß. Das Versprechen lautet von Anfang an: Wer sich auf den Lehrgang einläßt, wird nicht nur Waschmaschinen verkaufen, sondern auch seine Ehe retten können. „Der Start zum Erfolg“, so der Titel des ersten Bandes, ist universal. Vor die Erkenntnis durch Lektüre haben die Karstadt-Psychologen eine ganze Reihe Übungen gesetzt. „Auf welche (positiven) Details können Sie achten, wenn Ihnen ein Kunde nicht auf Anhieb sympathisch ist? Zählen Sie mindestens fünf auf“, wird etwa der Belegschaft aufgegeben – mit liniertem Raum für Notizen daneben.
„Für mich wäre so etwas in Gruppengesprächen einfacher als im stillen Kämmerlein“, meint dazu Anita R. Die 39jährige arbeitet in einer Berliner Filiale und hat bislang noch nicht die Zeit gefunden, sich nach Feierabend ans Lehrwerk zu machen. Dabei gehört sie durchaus „zu den Leuten, die auch sonst mal ein Buch in die Hand nehmen“. Trotzdem wird sie mehr Zeit investieren müssen als die vier Arbeitsstunden, die pro Band gutgeschrieben werden. Viele KollegInnen reagieren „genervt und ablehnend“, berichtet Anita R. Andererseits: Unfreundlich behandelt zu werden sei ja leider niemandem fremd: „Ein gewisses Verständnis bringen die meisten schon auf.“ Zumal die Freundlichkeit eben „nicht rigide von oben verordnet wird, sondern durch eine Verbesserung des Betriebsklimas entstehen soll“. Dafür gibt es in jeder Filiale ein sogenanntes „Spirit-Team“, das auch die Aufarbeitung des daheim Gelernten in der Gruppe organisiert.
Der Individualität der Angestellten wird Rechnung getragen durch zwei Versionen der Freundlichkeitsvermittlung: Die eine schlicht und nüchtern, die andere poppig bebildert und gespickt mit Bonmots von Cicero bis Madonna. Ausdrücklich ist die ganz persönliche Art der Freundlichkeit gefragt. Viele Zubringer führen auf die „Ja-Straße“, die Lebensglück und Verkaufserfolg garantieren soll.
Das angelernte Lächeln steht und fällt allerdings mit der Personalausstattung. Nicht nur Anita R. findet, Karstadt hätte besser die Belegschaft aufgestockt. Sonst sage der Kunde, „Ihr Personal ist zwar freundlich, aber wenn ich keins zu fassen kriege, nützt mir das auch nichts“. Monika Franke, Sprecherin der Karstadt AG, pflichtet im Prinzip bei. Nur: „Erst müssen wir uns profilieren und noch erfolgreicher werden, dann können wir uns mehr Personal leisten.“ Zunächst gehe es um den Sinn für kleine Aufmerksamkeiten: „Oft reicht da schon ein netter Blick und der Hinweis: ,Ich bin gleich für Sie da.‘“
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