■ Die CDU/CSU sucht nach ihrer zukünftigen Rolle als Opposition: Volkspartei ohne Volk
Langsam, ganz langsam weicht der Schatten Helmut Kohls von der CDU und gibt den Blick frei auf eine Partei, die im schlechten Sinn des Wortes konservativ geworden ist. Es modert in den Strukturen, es mufft im Programm.
Hinter dem breiten Rücken des Vorsitzenden war die Partei immer schmaler geworden. Mittlerweile stellt sich die Frage, ob sie den Namen Volkspartei noch verdient. Stetig war ihr Niedergang, seit Kohl Kanzler wurde, der Zerfall des europäischen Konservativismus christlicher Prägung läßt die Tiefe und womöglich Unabwendbarkeit des Prozesses erahnen. Die Union unter Kohl hat in den letzten Jahren soviel überflüssig Gewordenes bewahrt, an so vielen Interessen und Positionen festgehalten, daß sie wohl lange brauchen wird, ihren Platz in der Parteienlandschaft neu zu definieren.
Während die FDP sich in den letzten Jahren zu einer single issue party radikalisiert und sich so schon in der Regierung für die Opposition präpariert hat, trifft der neue Status die Union völlig unvorbereitet. Wer FDP wählt, der achtet aufs Geld, befürwortet eine strikt angebotsorientierte Politik und übersetzt Liberalität mit Wirtschaftsfreiheit. Doch weshalb wird man künftig CDU wählen? Bestimmt nicht, weil sie demnächst als Antwort auf Schröder eine Dublette aufbaut. Das Erfolgsrezept des Sozialdemokraten war nicht Populismus, sondern ein teils indifferentes Personal- und Programmangebot, mit dem er eine Politik der Mitte attraktiv machte. Mit ihr definiert die SPD nun ihren spezifischen Ausgleich zwischen sozialen und wirtschaftlichen Belangen. Ein Populismus der Union ginge nach rechts, damit wäre die Mitte nicht zurückerobert, eine spezifisch christdemokratische Variante des Rheinischen Kapitalismus damit noch nicht gefunden.
Der Union ist die Mitte verloren gegangen, weil sie lange ignorierte, daß die entsprechenden Milieus nicht mehr allein Nutznießer ihrer Politik, sondern auch deren Opfer sind. Lange Zeit ignorierte die Partei, daß sich die Umbrüche einer globalisierten Welt nicht mehr nur auf bestimmte Gruppen und Schichten begrenzen lassen, sondern auch in ihrer Klientel Verluste und Verarmung produzieren.
Die Union muß Realitäten anerkennen, lautet nun die Forderung der Erneuerer. Schon das wird zu Friktionen führen. Doch es kommt nicht nur darauf an, diese Realitäten zu akzeptieren, sondern, sie mit den Normen und Traditionen der Partei zu einem Programm zu verbinden, das ihr eine neue Identität gibt. Der CSU ist das in einer beachtenswerten Kontinuität gelungen. Aufgrund ihrer gewachsenen Stärke in der Union wird sie nun der CDU ihr Erfolgsmodell aufzwingen wollen: Industriemoderne plus regionaler Traditionalismus plus staatlicher Autoritarismus.
Doch das Modell der CSU ist allein schon wegen seines Regionalismus auf die CDU nicht übertragbar, deshalb taugt auch ein CSU-Grande nicht unbedingt, um die gesamte Union zu repräsentieren. Es stößt auf Widerstand bei den Teilen der CDU, die den integrations- und den sozialpolitischen Anspruch der Union wieder stärken wollen.
Diese Konfliktlagen sind der Hintergrund der Überlegung, die Union organisatorisch und thematisch zu spreizen, indem die Fraktionsgemeinschaft geändert wird. Das birgt allerdings die Gefahr des Zerfalls. Es wird Schäubles vorrangige Aufgabe sein, das zu verhindern. Er muß der CDU eine Neuorientierung geben. Die junge Garde der Landesfürsten, die nun an die Spitze drängt, ist, bloß weil sie jung ist, kein Garant für einen Neuanfang. Sie sind politisch zu heterogen, um als eigenständige Kraft wahrgenommen zu werden. Sie alle drängen nun an die Spitze und stoßen dabei auf eine verunsicherte Parteiaristokratie. Doch nur derjenige wird sich für die Führung profilieren, der in seinem Land einen deutlichen Wahlerfolg erringt. Und nur der könnte Kanzlerkandidat werden, der am besten dem von Schäuble zu zeichnenden Parteiprofil entspricht. Erfüllt einer in vier Jahren diese Bedingungen, so wird es das Schicksal Schäubles sein, Kronprinz und Kanzlermacher, aber nie Kanzler gewesen zu sein. Dieter Rulff
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