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1999 wird rot-grüne Europa-Nagelprobe

Im kommenden Jahr führt Deutschland die Ratspräsidentschaft der EU. Unter Rot-Grün dürften einige Blockaden fallen. In der Verkehrs-, Beschäftigungs- und Wirtschaftspolitik hatte die Kohl-Regierung gebremst  ■ Aus Brüssel Alois Berger

Ausgerechnet in der stockkonservativen Schweiz wurde die Wahlniederlage Helmut Kohls mit einer gewissen Genugtuung aufgenommen. Jetzt fehlt den Schweizern nur noch ein grüner Verkehrsminister zum Glück. Nicht in Bern, Gott bewahre, soweit geht die Liebe zu grünen Ideen auf keinen Fall. Aber ein Grüner im Bonner Verkehrsministerium wäre „für die Schweiz ein Segen“, schreibt der Züricher Tagesanzeiger.

Nicht zu Unrecht erwarten die Schweizer, von einer umweltfreundlicheren deutschen Europapolitik als erste zu profitieren. Denn seit Monaten blockiert die Noch-Regierung in Bonn das Europaabkommen der EU mit der Schweiz, weil den deutschen Speditionsunternehmen die geplanten Lastwagengebühren über die Alpen zu hoch sind. Das Abkommen sieht eine Reihe von Erleichterungen für Schweizer Bürger in der EU vor, doch im Gegenzug verlangt die EU von Bern, den Lastwagenverkehr über die Alpen nicht durch hohe Straßengebühren zu behindern.

Noch-Verkehrminister Matthias Wissmann hat vor einigen Monaten das fast fertig ausgehandelte Abkommen plötzlich platzen lassen, nachdem alle anderen EU- Länder bereits zugestimmt hatten. Die Schweizer Umweltgebühren seien für Bonn nicht hinnehmbar.

Die Verkehrspolitik dürfte einer der Bereiche sein, wo sich der deutsche Regierungswechsel am deutlichsten auf die Politik in Europa auswirkt. EU-Verkehrspolitik hieß für Wissmann vor allem, die Kosten für den Güterverkehr auf der Straße möglichst einheitlich zu gestalten, mit dem Ergebnis, daß die deutschen Lkw-Steuern in etwa halbiert wurden.

Österreichs Verkehrsminister Kaspar Einem hat bereits erklärt, daß er sich von einer rot-grünen Regierung in Bonn mehr Vernunft verspreche. Denn wie die Schweiz hat auch Österreich mit den Transitproblemen über die Alpen zu kämpfen und hofft auf Mitstreiter für eine Politik, die den Güterverkehr nicht nur in Grünbüchern, sondern auch in der Realität von der Straße auf die Schiene verlagert. Mit Matthias Wissmann geht der entschlossenste Bremser von Bord.

Ähnlich hochgesteckt wie bei der Verkehrspolitik sind die Erwartungen auch im Bereich der Beschäftigungsförderung. Bundeskanzler Kohl hat nie einen Hehl daraus gemacht, daß er die europäischen Initiativen für Unsinn hielt. Arbeitsmarktpolitik, so Kohl bei jeder Gelegenheit, sei eine rein nationale Angelegenheit. Ob sich daran soviel ändert, ist allerdings ungewiß. Auch die SPD will im Grunde keine EU-Beschäftigungsprogramme, wie sie von der französischen Regierung bei den verschiedenen Gelegenheiten gefordert wurden. Sie wird allerdings, da ist sich etwa der SPD-Europaabgeordnete Klaus Hänsch sicher, die Bemühungen von Paris und Wien unterstützen, die nationale Arbeitsmarktpolitik besser abzustimmen. „Das kann deren Wirkung verstärken.“

Oskar Lafontaine, vermutlich künftiger Finanzminister, hat bereits signalisiert, wo er die europäische Zusammenarbeit vor allem verstärken will. Der Euro-11-Rat, das politische Begleitgremium zur europäischen Währungsunion, soll zu einer Art Wirtschaftsregierung für die Euro-Zone werden. Paris hat das schon lange gefordert, Kohl und Waigel haben sich am vehementesten dagegen gewehrt, angeblich um die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank nicht auszuhöhlen.

Solche Ängste scheinen Lafontaine und Schröder nicht zu haben. Wie die Regierungen in Paris, aber auch in Wien, halten sie es für unverzichtbar, daß das gemeinsame Geld auch von einer gemeinsamen Wirtschafts- und Finanzpolitik begleitet wird. Fundamentale Veränderungen sind davon nicht zu erwarten. So wie die EU aufgebaut ist, kann ein Land alleine ohnehin nichts durchsetzen, selbst wenn es das größte und wirtschaftsstärkste ist.

Die rot-grüne Regierung kann allenfalls neue Akzente setzen. So wird beispielsweise die Diskussion um die Mindestbesteuerung von Unternehmen in den nächsten Monaten auf die Tagesordnung kommen. Die zwischenzeitlich totgesagte Energiesteuer wird wieder mit mehr Schwung zwischen den verschiedenen EU-Gremien hin und hergeschoben werden, die Gen-Politik wird mit einem Tick mehr Skepsis vorangetrieben, die Notwendigkeit zur Aufwertung der weitgehend inhaltsleeren Sozialcharta öfter als bisher erwähnt werden.

Ob und wieviel sich durch den Bonner Regierungswechsel in der EU wirklich verändert, hängt nicht nur vom Ausgang der Koalitionsverhandlungen ab. Viel entscheidender wird sein, ob der künftige Bundeskanzler und sein Finanzminister eine europäische Rolle spielen wollen oder nicht. Die Nagelprobe steht im ersten Halbjahr 1999 an, wenn die Bundesrepublik turnusgemäß die Ratspräsidentschaft übernimmt.

Spätestens im März stehen die ersten Entscheidungen zur Agenda 2000 an, mit der die EU für die Osterweiterung fitgemacht werden soll. Kernstück ist die Reform der Agrarpolitik, die von der bisherigen Regierung mit Rücksicht auf ihre bäuerlichen Wähler behindert wurde. Die Sozialdemokraten, vor allem aber die Grünen haben sich für eine Abkehr von der subventionierten Massenproduktion ausgesprochen. Die Frage ist, ob die neue Regierung diese Linie auch durchhält, wenn ihr die Bauernverbände auf die Füße steigen. Und die zweite Frage ist, ob sie bis dahin genügend europäisches Gewicht erlangt hat, um auch die französische und die spanische Regierung für eine vernünftigere Agrarpolitik zu gewinnen.

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