: Sehnsucht nach wolkenlosem Himmel
■ Grenzenlos 2: Das Nonstop-Müzik-Festival bietet türkophone Bands aus Istanbul und Berlin
Klein-Istanbul wird Kreuzberg gern genannt. Das sollte allerdings nicht zu dem Umkehrschluß verleiten, sich Istanbul als eine Art vergrößertes Kreuzberg vorzustellen. Zwischen der kosmopolitischen 10-Millionen-Metropole am Bosporus und dem türkisch geprägten Mikrokosmos an der Spree liegen Welten — auch musikalisch. Mit dem dreitägigen Nonstop-Müzik-Festival sollen sie enger zusammengeführt werden, auf daß Unterschiede, aber auch Gemeinsamkeiten deutlich werden. Dabei nämlich treffen Bands der hiesigen Musikszene auf Gruppen aus Istanbul — und die Gäste aus der Türkei klingen durch die Bank deutlich weniger „orientalisch“ als ihre Berliner Counterparts.
Die Brüder Cem und Ali, kurz „Cemali“, die gestern das Drei-Tage-Festival eröffneten, holten sich die Inspiration für ihren türkischen Elektropop in den USA, wo sie als Kinder die Mittelschule und später, nach ein paar Jahren in der Türkei, die Universität in Berkeley besuchten. Und die Rockgruppe Bulutsuzluk Özlemi (zu deutsch „Sehnsucht nach wolkenlosem Himmel“), die heute abend aufspielt, steht eher in einer Linie mit der US-amerikanischen Songwriter-Schule eines Jackson Browne, musikalisch ist sie dem melodischen Poprock des Schweizers Stefan Eicher gar nicht fern. Mit Großstadthymnen wie „Yașamaya mecbursun“ – „du bist zum Leben gezwungen“ – trifft sie den Nerv einer studentischen Jugend, und bei ihrem Publikum zählt sie, weil sie in ihren Texten auch um das Demokratieproblem der Türkei nicht lange herumredet, zu den führenden Bands mit politischem Anspruch. Für ein Soli-Konzert fahren sie schon mal in den tiefen kurdischen Osten des Landes, doch musikalisch orientieren sie sich ganz am Westen.
Wie der Jazz-Musiker Gürol Agirbaș, der türkische Pat Metheny, der die Besonnenheit (= Agirbașlilik) bereits im Namen trägt. Er, der allerlei Ethno-klänge, von indianisch bis anatolisch, in seine Musik einfließen läßt, wird am letzten Abend mit der deutsch- türkischen Folkpop-Formation Derya zusammen auf der Bühne stehen: ein würdiger, weltmusikalischer Abschluß der dreitägigen Reihe. Fortsetzung erwünscht! Daniel Bax
Heute und morgen ab 20 Uhr in der Werkstatt der Kulturen, Wissmannstr. 32, Neukölln
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen