: Der Potsdamer Platz als Zitadelle
■ Mit der „neuen Mitte“ ist Berlin der Amerikanisierung einen Schritt näher gekommen. Und damit auch der Auflösung des Städtischen
Schon im Zusammenhang mit dem städtebaulichen Wettbewerb zum Potsdamer Platz hatten 1991 der Stadthistoriker Dieter Hoffmann-Axthelm und die ehemalige bündnisgrüne Stadtentwicklungssenatorin Michaele Schreyer vor einer „Insel ohne städtische Anbindung“, einer „Stadt in der Stadt“ gewarnt. Nun, mit der Fertigstellung der Daimler-City wird offenkundig, daß diese Kritik eher noch untertrieben war. Die Investorenstadt am Potsdamer Platz ist, umgeben von einem System städtebaulicher und sozialer Grenzen, auf dem besten Wege, eine innerstädtische „Zitadelle“ des Konsums und Vergnügens zu werden, wie man sie sonst nur aus amerikanischen Städten kennt.
Grenzort ist der Potsdamer Platz in vielerlei Hinsicht. Am neuen Bahnhof Mendelssohn-Bartholdy-Park scheiden sich nicht nur die Geister, sondern auch das „Sozialamtsviertel“ Südliche Friedrichstadt von der Glitzerwelt der Investorencitys. Östlich des Potsdamer Platzes wird der Leipziger Platz noch über Jahre hinweg als städtische Brache vor sich hinschlummern, und im Westen bleibt das Kulturforum, trotz der die Hans Scharoun zitierenden Architektur Renzo Pianos, weiterhin streng von Musical-Theater und Spielbank der Daimler-City getrennt. Am deutlichsten ist die Grenzziehung allerdings im Südwesten. Hier trennt die Potsdamer Brücke die heile Welt des Konsums von der sozialen Realität des Einwandererquartiers Tiergarten- Süd. Solche abrupten Übergänge kannte man bisher aus dem amerikanischen Stadtraum. Hat Berlin mit dem Potsdamer Platz damit einen weiteren Schritt zur „Amerikanisierung“ getan?
Bislang werden als Hinweise für die „Amerikanisierung“ der „europäischen Stadt Berlin“ vor allem der Bau von Einkaufszentren und Shopping-Malls sowie die zunehmende Wanderung von Mittelschichtsfamilien an den Stadtrand genannt. Dazu wird am Potsdamer Platz noch der brutale Autismus einer Sony-City kommen, deren Architekt Helmut Jahn kein Hehl daraus macht, daß er die Quasi-Öffentlichkeit seines Urban-Entertainment-Centers nicht etwa als Selbstverständlichkeit begreift, sondern als „Geschenk an die Stadt“. Doch mit der Privatisierung öffentlicher Räume ist die „Amerikanisierung“ nur unzureichend beschrieben. Amerikanisch ist nicht nur die Shopping-Mall, sondern auch die städtebauliche Einbindung des Potsdamer Platzes in die nähere Umgebung – ein Nebeneinander von Glitzerwelt, Armutsvierteln, Brachen und undefinierten Zwischenräumen.
Seit längerem bereits wird in der amerikanischen Stadtforschung über eine „neue Produktion des Raumes“ diskutiert, die sich aus einer Stadtentwicklung ergebe, die mehr und mehr den Spielregeln globaler Marktbewegungen unterworfen ist. Neben dem Anwachsen „aufgegebener Gebiete“ und „Ghettos“, dem Boom sogenannter Randstädte („Edge Cities“) und Zitadellen spielt dabei auch eine neues Verhältnis von Peripherie und Zentrum eine Rolle.
Diese Tendenz zur Verstädterung des Umlandes sowie der Peripherisierung des Zentrums durch Brachen, Parkplätze und leerstehende Gebäude kann auch der Bau einer Zitadelle nicht aufhalten. Im Gegenteil: Gerade die Massierung städtischer Funktionen wie Einzelhandel, Vergnügen und Büronutzung wirkt sich negativ auf die nähere Umgebung aus. Das betrifft nicht nur das Kinosterben an den klassischen Standorten des Berliner Westens, sondern auch den Niedergang des Einzelhandels wie er sich vor einiger Zeit in der ankündigten Schließung des Hertie-Kaufhauses am Halleschen Tor angedeutet hat.
Gerade hier hat die heutige Eröffnung der Daimler-City bereits ihre Schatten vorausgeworfen. In gewisser Hinsicht ist die Verödung des Quartiers rund um das Hallesche Tor zur innerstädtischen Peripherie genauso Metapher für die Amerikanisierung Berlins wie die Zitadelle am Potsdamer Platz. Uwe Rada
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