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Das Furunkel

■ Oliver Kalkofe versucht, dem Fernsehen im Fernsehen beizukommen. Geht das überhaupt?

Das Foto auf seinem Buch „Kalkofes letzte Worte“ ist treffend: Die schwarze Ray- Ban auf der Nase, den Finger am Abzug einer großen Wumme, zielt Oliver Kalkofe dem Betrachter genau zwischen die Augen. Dem Publikum sagt der „derzeit brillanteste Kritiker im deutschen Fernsehen“ (Spiegel): Wacht auf, sonst knallt's! Und den Programm-Machern signalisiert er sinnfällig – was ihr uns vorsetzt, ist so unterirdisch, man sollte euch erschießen!

Wenn man Oliver Kalkofe zuhört, geht es so weiter. Da fragt Kalkofe, ob Fernsehen nicht eine einzige Lüge sei. Ob das Publikum in „Der Preis ist heiß“ vielleicht gar nicht aus „echten Freigängern der geschlossenen Psychiatrie, sondern nur aus gedopten Statisten vom Club der anonymen Vollidioten bestehe“. Fragt, ob Patrick Lindner „ein genetisch manipuliertes Gesäß mit Dauerwelle“ und Barbara Eiligmanns Name vielleicht gar nicht Barbara Eiligmann sei. Warum würde sie es sonst in „Explosiv“ (RTL) ständig beteuern?

Die Medienrealität hat Oliver Kalkofe (32) zugesetzt. So sehr, daß er etwas unternehmen mußte, nachdem er eine Ausbildung zum Wirtschaftsdolmetscher und ein Publizistikstudium beendet hatte. Er ging 1990 zu Radio FFN in Hannover, wo er bald begeistert Gehör fand. Mit vier Kollegen gründete er das „Frühstyxradio“, das sich schnell als wöchentliche Kult-Comedy-Show etablierte. Der Schritt eröffnete ihm das Feld.

Seit vier Jahren hat er seine eigene TV-Sendung, „Kalkofes Mattscheibe“, die beim Pay-TV- Sender Premiere läuft, dort aber auch von Nichtabonnenten gesehen werden kann. Hier kann Kalkofe quasi direkt am Tatort agieren. Im Fernsehen hat er seine eigene Methode entwickelt, eben dieses Medium zu kritisieren. Per Bluescreen-Verfahren projiziert sich der Medienschreck mitten ins Geschehen, sprich: in die Szenen der einschlägigen Sendungen, Shows und Serien. Da wackelt er dann als Dolly Buster durchs Bild, äfft die Anchormen nach oder kotzt sich quer durchs „Musikantenstadl“. Der Trailer zur Sendung bringt die Mission auf den Punkt: Da schlitzt Kalkofe Bilder auf, drischt mit dem Vorschlaghammer auf die Kiste ein und ballert mit der Pumpgun ins Mediengeschehen. Devise: Zerstörung gegen die Volksverdummung.

Fünfzig Stunden zappt sich der Berufsgucker in einer Woche durchs Programm. Schon beim Sichten fällt ihm oft ein, wie er was verballhornen könnte. Als einsamer Rächer sieht er sich keinesfalls. „Ich sage, was viele Leute denken. Die TV-Macher halten das Publikum für viel blöder, als es ist. Dafür gibt es irgendwann die Quittung.“ Der Erfolg gibt ihm recht. Sein Mediengemecker aus Bild und Wort und kalkofschem Wahnwitz ist für viele die amüsanteste Viertelstunde im Programmangebot. 1996 erhielt Kalkofe gar den renommierten Grimme-Preis dafür.

Kalkofes Inszenierungen funktionieren nach einem einfachen Schema, das seine Kritik ebenso bösartig wie glaubwürdig macht. So läßt er die „vorgeführten“ Sendungen zunächst einmal für sich selbst sprechen, bevor er via Bluescreen reinplatzt. Das funktioniert so gut, daß es Kalkofe-Guckern bald genügt, nur noch die Originale kommentarlos dahinflimmern zu lassen, um sie dem Hohn preiszugeben. „Da muß ich dann eigentlich gar nichts mehr machen“, sagt Kalkofe: „Die Leute sitzen davor und denken den Kalkofe gleich mit.“ Genau diese Sichtweise will er dem Zuschauer vermitteln. Eine Erziehungsmethode zur Medienskepsis.

Ein Kulturpessimist? Den „sympathischen Wahnsinn“ im Fernsehen wolle er gar nicht abschaffen, antwortet er, der Reiz des Blöden habe nun mal Magnetwirkung. Jeder solle gucken – aber bitte mit eingeschaltetem Gehirn: „Wenn die Kids sich heute einen Strand vorstellen, dann sieht der aus wie in „Baywatch“. Schlick wie an der Ostsee, kennen die nicht mehr.“ Das Fernsehen als „intellektuelle Neutronenbombe“ („der Kopf bleibt stehen, aber das Gehirn schmiltzt weg“). Bei solchen Gedanken wird Kalkofe, meist in schlichtes Schwarz gekleidet, todernst. „Wer gesund bleiben möchte, sollte abschalten.“

Um dem Wahn der Flimmerwelt gerecht zu werden, sei schon eine gehörige Portion Ehrlichkeit nötig. Das hören seine Zielscheiben nur ungern, doch auch per Rechtsstreit konnte er bisher nicht gezähmt werden. Er weiß um seine Feinde, darunter u.a. ein Heimatduo aus dem Norden, „das sich doch extrem erregte“.

Derart bestärkt, macht Kalkofe munter weiter, produziert, schreibt, tourt und krakeelt, was das Zeug hält. Sieben Tage pro Woche arbeitet er, produziert mit Regisseur Marc Stöcker die „Mattscheibe“, schreibt eine Kolumne in TV-Spielfilm, nimmt CDs auf, macht weiter Radio und geht mit der Comedy-Truppe auf Tournee. Darüber hinaus habe er jede Menge Angebote. Bei seinem Selbstverständnis fast ein Wunder: „Ich bin das Furunkel am Arsch der Unterhaltung – zu dick, um ausgedrückt zu werden.“ Den Verdacht, daß er nur ein Klümpchen im Medienmatsch ist, muß er sich gefallen lassen. Natürlich weiß Kalkofe um diese Gefahr. Doch außer längst professioneller Selbstverarsche findet er keine rechte Antwort darauf. Vielleicht weil es keine gibt. Das Fernsehen lebt, wie ein Biotop von seinen Parasiten, auch von seinen Gegnern. In Zeiten glitzernder Harald-Schmidtscher Hemmungslosigkeit ist Kritik längst zu Reklame geworden.

Doch ab Sonntag will „Kalk“ (und so weiß ist er wirklich) das Format erweitern. Er arbeitet an neuen technischen Möglichkeiten und will den Zuschauern demnächst auch mehr Hintergrundinformation über die Unsitten in der Unterhaltungsbranche liefern. Seinen Fans verspricht er, die Aufklärungsarbeit vehement fortzusetzen. Von deren Notwendigkeit ist er überzeugt und läßt dafür selbst seine Trinkgewohnheiten zum symbolischen Akt der TV-Kritik werden. Am liebsten mixt er Alsterwasser mit Erdbeerjoghurt. Rührt es, schüttelt es und würgt es runter. Marc Bielefeld

Ab Sonntag 19.45 Uhr laufen die neuen Folgen von Kalkofes Mattscheibe auf Premiere (unverschlüsselt)

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