■ Nach dem Machtwechsel ist Stoiber in München festgenagelt
: Der Löwe im Käfig

Nach dem Wahlsieg der CSU bei der Landtagswahl und dem Abgang von Theo Waigel als Parteichef ist Edmund Stoiber auf dem Gipfel seiner Macht. Ohne jede Zurückhaltung formulierte Stoiber bereits in der Wahlnacht seinen Anspruch, die christdemokratische Opposition über seine Position im Bundesrat in Zukunft anführen zu wollen. Stoiber will die bürgerliche Mitte neu formieren, egal, was Schäuble und Rühe dazu sagen. Er will das konservative bürgerliche Lager zusammenhalten, eine Aufspaltung in zwei Parteien verhindern und hat natürlich schon das passende Rezept dafür: die rechtskonservative Linie der CSU.

In Wirklichkeit ist das Gegenteil richtig und Stoibers Rechnung ohne den Wirt gemacht. Der regionale Charakter der CSU, der Stoiber erst den absoluten Wahlsieg bei den Landtagswahlen ermöglicht hat, wird sich als das Hindernis für seine weitere Karriere erweisen. Stoiber ist nicht nur seit Sonntag endgültig der König von Bayern, er sitzt mit seinem Thron zugleich in einem Käfig, den er nicht verlassen kann.

Die CDU steht vor einem Erneuerungsprozeß, der trotz aller Beteuerungen schmerzhaft sein und harte Richtungskämpfe bringen wird. Die CSU ist mit ihrer Politik der Ausgrenzung von Ausländern, ihrer ideologisch geprägten Drogenpolitik und einer scharfen Abgrenzung von Brüssel innerhalb der Union nicht mehrheitsfähig. Sie hat in Bonn jahrelang die Koalition blockiert – zum Beispiel beim Einbürgerungsrecht –, obwohl es in CDU und FDP eine Mehrheit dafür gab. So hat die CSU nicht unwesentlich zu Kohls verheerender Niederlage beigetragen, denn sie hat den Kanzler auf das Image einen Mannes festgenagelt, der keine Rezepte für die Zukunft hat.

Schon jetzt sind in der CDU die Stimmen am lautesten, die eine Öffnung hin zur Mitte fordern. Auch eine konservative „Lega Süd“ mit den Mitgliedern Bayern und Baden-Württemberg wird es nicht geben. Die Teufel-Regierung weiß zum Beispiel schon heute genau, daß sie eine Zuwanderung Tausender qualifizierter Einwanderer braucht, wenn sie die industrielle Spitzenstellung des Musterländles verteidigen will, während die CSU „Studienergebnisse“ veröffentlicht, die in dem Vorwurf gipfeln, SPD und Grüne steuerten mit der doppelten Staatsbürgerschaft gezielt auf eine islamische Bundesrepublik Deutschland hin. (Kein Witz, nachzulesen in der SZ vom 22.9. 1998.)

Wenn Stoiber die CDU in den kommenden Monaten auf einen harten Rechtskurs festlegen will, so wird er genau das betreiben, was er so vehement ablehnt: die Spaltung der bürgerlichen Konservativen. Mit seiner rechtskonservativen Politik kann er niemals Kanzlerkandidat der CDU werden.

Die CSU stellt nicht mehr als ein rundes Fünftel der gemeinsamen Fraktion. Hier wird sich Stoiber nicht durchsetzen können. Das Konzept „Zwei christliche Parteien, eine Fraktionsgemeinschaft“ ist zugleich die babylonische Gefangenschaft des Edmund Stoiber. Er muß bayerischer Ministerpräsident bleiben, wenn er seine unangefochtene Stellung in der CSU behalten will. Wir erinnern uns: Der Niedergang Waigels in seiner Partei begann 1993 mit seiner Niederlage im Kampf um den Ministerpräsidentensessel.

Unvorstellbar ist zudem, daß Stoiber versucht, aus persönlichem oder politischem Kalkül die CSU auf einen moderateren Kurs zu führen. Die bayerische Regionalpartei schöpft ihre Identität aus dem Rechtskonservativismus. Stoiber ist nicht nur Anführer der CSU, sondern zugleich ihr Gefangener. Macht er die CSU deckungsgleich mit der CDU, kann er seine absolute Mehrheit in den Wind schreiben.

Stoiber wird in Bundestag und Bundesrat seine Rolle als bayerischer Wadlbeißer mit Hingabe spielen und Schröder noch mächtig ärgern. Darüber hinaus wird er sich auf Europa konzentrieren und versuchen, die bayerische Rolle in Brüssel gewichtiger zu machen. Doch auch hier werden ihm enge Grenzen gesetzt werden. Für eine rot-grüne Regierung wird es eher leicht sein, Stoiber europapolitisch am ausgestreckten Arm verhungern zu lassen. Die CSU hat künftig keinerlei Einfluß mehr auf die deutsche Europapolitik, was besonders in der Landwirtschaft Folgen haben dürfte, die der CSU gar nicht gefallen werden. Der bayerische Löwe Stoiber mag in Zukunft soviel brüllen, wie er will – er kann doch nur an den Stangen seines selbstgebauten Käfigs rütteln. Christoph Nick

Der Autor arbeitet als freier Publizist in München