Finanzspritze für den Zuckerhut

Internationale Finanzorganisationen wollen 30 Milliarden Dollar für Brasilien lockermachen. Dafür soll das Land schmerzhafte Strukturreformen durchsetzen  ■ Aus Hamburg Knut Henkel

Zwei Wochen kursierten die Gerüchte um einen bevorstehenden Beistandskredit von internationalen Finanzorganisationen für das notleidende Brasilien. Nun ist die Katze aus dem Sack. Nur noch mit Details beschäftigen sich die Verantwortlichen des IWF, der das Abkommen ursprünglich nur als Katalysator begleiten wollte, und Brasiliens Finanzminister Pedro Malan.

Malan gibt sich alle Mühe, das 30-Milliarden-Dollar-Paket angesichts des Wahlkampfes zu Hause nicht als klassisches Strukturanpassungsprogramm aus Washington zu verkaufen, sondern als Beistandsmaßnahme der internationalen Gemeinschaft. Doch derartige Schönmalerei entbehrt jeder Grundlage, wie aus IWF-Kreisen am Mittwoch zu hören war.

An dem Paket sind der IWF, die Weltbank und die Interamerikanische Entwicklungsbank (IDB) mit insgesamt 15 Milliarden US-Dollar beteiligt, während der Rest von US-amerikanischen Finanzministerium und einigen Privatbanken kommen soll. Die Kredite werden aber nur mit detaillierten Auflagen für die Regierung Cardoso vergeben. Angeblich soll das Paket nur zum Abschluß kommen, falls Präsident Fernando Henrique Cardoso am kommenden Sonntag die Wahlen für sich entscheiden kann.

Für die Regierung Cardoso heißt das, daß sie die in Senat und Kongreß dümpelnden Strukturreformen endlich auf den Weg bringen soll. Cardoso hatte sich besagten Reformen schon in seinem Wahlprogramm von 1994 verschrieben. Am vergangenen Mittwoch kündigte er nun in einer beherzten Rede Steuererhöhungen an, um das überbordende Haushaltsdefizit in den Griff zu bekommen, das sich derzeit auf sieben Prozent des Bruttoinlandsprodukts beläuft.

Auch will er seinem Versprechen Priorität einräumen, die staatliche Altersversorgung neu zu ordnen. Erst mit 60 Jahren sollen sich Männer, Frauen mit 55 Jahren zur Ruhe setzten können. Dadurch würde die öffentliche Hand um jährlich rund fünf Milliarden US- Dollar entlastet, da Frühverrentungen im Alter von 40 Jahren in Brasilien keine Seltenheit sind. Auch die Reform der öffentlichen Verwaltung, für die ebenfalls die Verfassung modifiziert werden muß, will Cardoso endlich durch die Parlamentskammern peitschen, um den riesigen Staatsapparat zu verschlanken.

Die zu erwartenden Einsparungen sind nach Meinung von Heinz Mewes, Chefökonom der Dresdner Bank Lateinamerika, überfällig, um den Staatshaushalt endlich wieder ins Lot bringen und die exorbitant wachsende Binnenverschuldung zu stoppen. Mit 320 Milliarden Reais (knapp 290 Milliarden US-Dollar) steht derzeit die Regierung im Inland in der Kreide. An die Reduzierung dieses Schuldenberges, der aufgrund des schwindelerregenden Zinsniveaus von 49,75 Prozent stündlich wächst, ist jedoch erst zu denken, wenn es die Regierung schafft, die Strukturreformen auf den Weg zu bringen, ist sich Mewes sicher.

Die astronomischen Zinsen ließen Brasiliens Wirtschaft inzwischen in eine handfeste Rezession rutschen. Die Investitionen sind stark rückläufig, Kredite werden kaum mehr aufgenommen, und die beliebten Ratenkäufe sind praktisch unmöglich. Bei VW do Brasil stehen Zehntausende von Autos auf Halde, weshalb der Konzern die Belegschaft kurzfristig in den Urlaub schickte. Weniger finanzstarke Betriebe versuchen sich mit Entlassungen über Wasser zu halten. In São Paulo, der wichtigsten Industriemetropole des Landes, weisen die offiziellen Statistiken eine Arbeitslosenquote von 19 Prozent auf. Eine alarmierende Quote, da große Teile der Bevölkerung ohnehin im informellen Sektor tätig und in der Stastik gar nicht registriert sind.

Die handfeste Krise lasten die Brasilianer allerdings nicht ihrem Präsidenten an. Auch die Rede Cardosos, in der er die schmerzhaften Einschnitte ankündigte, scheint der Popularität des Soziologen keinen Abbruch zu tun. In den Meinungsumfragen liegt er wenige Tage vor den Wahlen mit 46 Prozent der Stimmen weit vor seinen Verfolgern. Im Ausland und vor allem in den Finanzinstituten hat sich Cardoso mit seinen Ankündigungen zusätzlichen Kredit verschafft, so daß kaum ein Analyst daran zweifelt, daß das Hilfspaket in den nächsten Tagen endgültig verabschiedet wird.

Ohne die Finanzspritze wäre es um die brasilianische Zahlungsfähigkeit schlecht bestellt. Augenblicklich verfügt die Zentralbank noch über Devisenreserven von 45 Milliarden Dollar, statt der 78 Milliarden, die noch Ende Juli auf den Konten ruhten. Dem Notgroschen stehen kurzfristige Verbindlichkeiten im Ausland von etwa 50 Milliarden US-Dollar gegenüber.