Schweden geht rot-rot-grün

Sozialdemokraten bilden Regierung mit linker Tolerierung. Knackpunkt: Differenzen zur EU  ■ Aus Stockholm Reinhard Wolff

Schweden hat eine rot-rot- grüne Regierung – trotz der „Katastrophenwahl“ vor zweieinhalb Wochen, bei der die Sozialdemokraten fast jede vierte WählerInnenstimme verloren hatten. Formal bildet die sozialdemokratische Arbeiterpartei unter dem alt- neuen Ministerpräsidenten Göran Persson allein die Regierung. Persson stützt sich aber auf eine mit der Linkspartei und den Grünen getroffene Regierungsvereinbarung.

Daß keine formale Koalition gebildet wurde, war aufgrund der politischen Tradition Schwedens zu erwarten. Anders als in Deutschland sind Koalitionen mehrerer Parteien hier die absolute Ausnahme. Man regiert in Stockholm gewöhnlich von einer Minderheitsposition aus und sucht sich für Einzelfragen oder eine längerfristige Zusammenarbeit einen Partner, der aber in der Regel personell nicht in die Regierung eingebunden wird. Das entspricht im konkreten Fall auch dem Wunsch aller drei beteiligten Parteien: Die Zusammenarbeit wird als Test verstanden, nachdem sich die Sozialdemokraten in der Vergangenheit erforderliche Mehrheiten eher rechts geholt hatten.

Das Novum einer rot-rot-grünen Zusammenarbeit fand gestern Niederschlag in Perssons Regierungserklärung. So werden nicht nur die Lohnsteuer für Niedrigverdienende gesenkt und das Kindergeld sowie die Studienstipendien erhöht. Die Regierung will auch einen Teil des kahlgeschlagenen Sozialsystems wieder aufforsten: Die in den letzten Jahren arg gebeutelten Kommunen erhalten deutlich mehr Geld, um die in ihre Zuständigkeit fallenden Bereiche wie Schul- und Kindergartenbetrieb, Alten- und Gesundheitsfürsorge großzügiger als bislang finanzieren zu können. Von einem „Richtungswechsel“ wollte Persson allerdings nicht sprechen, wohl um allzu große Unruhe auf den Finanzmärkten zu vermeiden. Inhaltlich versprechen die Sozialdemokraten aber durchaus, wieder mehr das „soziale Gewissen“ des Landes zu werden, für dessen Verleugnung sie kräftige WählerInnenprügel bezogen hatten.

Sowohl die Linkspartei als auch die Grünen zeigten sich zufrieden. Die Hauptforderung der Linkspartei – die allgemeine Einführung der 35-Stunden Woche – wird zwar nur vage in ferne Aussicht genommen, dafür werden aber neue Kraftanstrengungen angekündigt, um die Arbeitslosigkeit noch unter 4 Prozent zu drücken.

Die Grünen konnten sich mit einem Spezialprogramm zur Allergiesanierung und mehr Mittel zum Aufkauf von schützenswerten Naturwäldern wiederfinden. Persson kündigte darüber hinaus ein zusammen mit der Autoindustrie des Landes in Angriff zu nehmendes Programm zur Entwicklung neuer, umweltfreundlicher Autotechnik an. Und der Ausstieg aus der Atomenergie soll weitergehen, auch wenn die Regierung keinen Zeitplan nennt. Grünen-Vorsitzender Birger Schlaug sagte, es sei gelungen, „ein grünes und ein rotes Weltbild zusammenzufügen“, ohne die „grüne Identität und Freiheit“ aufgeben zu müssen.

Doch auch die mögliche Bruchstelle der jetzigen Regierungszusammenarbeit kann man bereits erahnen. Im Bereich der EU-Politik sind die Positionen der drei Parteien nicht vereinbar. Die Grünen und die Linkspartei wollen, daß die SchwedInnen in einer Volksabstimmung darüber entscheiden können, ob sie die EU wieder verlassen. Für die sozialdemokratische Regierung steht als nächstes ein weiterer Integrationsschritt im Rahmen des Europäischen Währungssystems an. Reinhard Wolff