Wenn Schweinfurt Pork Sity ist: Ein Karaokeabend mit Sinn Fein

■ Poetik im Makabren: Thomas Ostermeier inszeniert die deutsche Erstaufführung von Enda Walshs „Disco Pigs“ im Malersaal

„Fuckin freedom! Jus da Runt! Jus me and da big big colour blue!“ Runt, zu deutsch Ferkel, und ihr Freund Pig, Schwein, sind im selben Krankenhaus geboren, in der Siedlung aufgewachsen und haben sich in derselben exklusiven Welt eingerichtet. Da haut man Fremden gern was auf die Nase, singt aber auch mit Freude beim Karaoke-abend der Sinn Fein. Irgendwann aber hat Runt genug. An ihrem siebzehnten Geburtstag, als das Paar sich aufmacht zu einer Sauf- und Tanztour durch „Pork Sity“, zerfällt ihre fast siamesische Zweisamkeit.

Disco Pigs, das dritte Stück des 30jährigen Dramatikers Enda Walsh, ist in seiner irischen Uraufführungsversion bereits seit zwei Jahren auf internationaler Tournee, zuletzt gezeigt beim „Next Generation“-Programm der Berliner Festwochen. Aus Berlin kommt auch die erste deutsche Version von Disco Pigs: Thomas Ostermeier führt Regie bei der Koproduktion der Berliner Baracke mit dem Hamburger Schauspielhaus, in dessen Malersaal am Mittwoch die deutsche Erstaufführung stattfinden wird.

Disco Pigs ist eine Tour de Force für Darsteller und Zuschauer gleichermaßen: Die Schauspieler sprechen einen an Clockwork Orange und Babysprache angelehnten Geheimcode, den das Publikum erst erlernen muß. „Der Deal ist: Du kaufst die Karte, mußt zehn Minuten hart arbeiten, und dann bist du initiiert.“ Der Dramatiker als Türsteher. Welcome to the Club.

Wo liegt Pork Sity in Deutschland? Die Antwort des Übersetzers war, naheliegend, Schweinfurt, weshalb das Stück ins Fränkische übersetzt wurde. Das aber war den Schauspielern unverständlich, also wurde es ins Hochdeutsche übertragen. Eine Mischung beider Fassungen wird nun auf deutschsprachigen Bühnen gesprochen.

Neben Klang und Rhythmus der Sprache setzt Walsh in Disco Pigs auf die Präsenz der Schauspieler, aufwendige Dekoration und Effekte interessieren ihn nicht. Gesellschaftliche Wirren werden nicht in grellen Schockfarben auf die Bühne gestellt. Den Iren verbindet wenig mit ausgewiesenen Mitgliedern des derzeit angesagten „jungen britischen Theaters“. Es dominieren private Momente, in denen seine Charaktere an der Umwelt scheitern. Abseitige Wünsche, enttäuschte Hoffnungen und Kommunikationsschwierig-keiten zeichnen stets Walshs Figuren aus.

Trotzdem: keine Endzeitstimmung. Die Welt ist düster, aber nicht ohne Hoffnung. Es geht um den Spannungsbogen zwischen einer oft miesen Realität und einem möglichen Ausbruch. „Ich mag es, emotionale Geschichten zu erzählen. Meine Stücke basieren auf klaustrophobischen Situationen, und trotzdem, denke ich, muß man versuchen, ihnen mit Hilfe seiner Einbildungskraft zu entkommen“, erläutert Walsh. „Ich interessiere mich sehr für das Makabre, die dunkle Seite der Dinge, und darin poetische Momente zu finden. Wie in Disco Pigs, wenn die beiden im Taxi ans Meer fahren. Ich liebe es, einen Funken Hoffnung zu sehen. Auch wenn die Hoffnung befleckt ist und dreckig.“

Ein filmischer Einfluß ist spürbar: Fragmente, Beobachtungen wie von einer Kamerafahrt werden vor psychologischen Erklärungsansätzen bevorzugt. „Ich glaube nicht, daß ich jemals damit anfangen werde, die Herkunft von Figuren zu erklären. Sie sind einfach, was sie sind! Was wir verlangen, besonders in Disco Pigs – wir bitten die Zuschauer, einen Blick in diese Welt zu riskieren.“

Holger Zimmer

Premiere: Mittwoch, 14. Oktober, 20 Uhr, Schauspielhaus, Maler-saal