Lauffirma droht der Konkurs

Die deutsche Leichtathletik glaubt sich nach dem Fall Pippig in ihren Anti-Doping-Bemühungen bestärkt, nur droht nun möglicherweise ein jahrelanger Rechtsstreit  ■ Von Thomas Winkler

Berlin (taz) – Wissenschaftler müssen wohl trocken sein. „Wir haben einen positiven Befund erarbeitet“, vermeldete Prof. Klaus Müller, Leiter des Doping-Labors in Kreischa. Der Gegenstand des Befunds: Uta Pippig (33), Beruf: Marathonläuferin.

Im Urin der gebürtigen Berlinerin wurde ein unzulässig hoher Anteil männlicher Geschlechtshormone festgestellt. Der ausschlaggebende Testosteron/Epistosteron-Quotient lag weit über dem Grenzwert. Die Probe war am 23. April im Training in Boulder, Colorado, genommen worden. Dort lebt Pippig mit ihrem Lebensgefährten und Trainer Dieter Hogen seit 1992. Gestern gab der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) bekannt, daß Pippig vorerst von allen Wettkämpfen suspendiert und der Fall dem DLV- Rechtsausschuß übergeben wird, der über eine Sperre entscheiden muß. Würde Pippig verurteilt, muß sie mit einer zweijährigen Sperre rechnen, könnte allerdings noch ein Schiedsgericht anrufen. Möglicherweise droht dem DLV allerdings auch ein jahrelanger Rechtsstreit wie im Fall Krabbe.

Pippig hatte in den Monaten vor dem Test schwere gesundheitliche Probleme. Nach dem olympischen Marathon 1996, den sie entkräftet aufgab, wurden Ermüdungsbrüche im rechtem Schienbein und Fuß festgestellt. 1997 in Boston, wo sie zuvor dreimal in Folge gewonnen hatte, wurde sie allerdings schon wieder Vierte. Androstenedion ist ein Vorläufer des männlichen Geschlechtshormons Testosteron und wirkt im Körper wie ein Katalysator, der die Testosteron-Produktion noch verstärkt. Sportlern glauben, daß Androstenedion den Muskelaufbau unterstützen, z.B. nach langwierigen Verletzungen. Im Frühjahr wurde der amerikanische Kugelstoß-Olympiasieger Randy Barnes wegen Androstenedions gesperrt. In den USA ist das Präparat in jedem Drugstore frei verkäuflich. Unlängst gaben diverse Baseballprofis, darunter der Nationalheld Mark McGwire, zu, Androstenedione zu verwenden.

Der DLV hatte Mitte August von dem positiven Befund erfahren und Pippig entsprechend der Richtlinien wenig später darüber informiert. Die dreimalige Siegerin des Berlin-Marathons gab daraufhin Gutachten bei drei verschiedenen Wissenschaftlern in Auftrag, die ihre Unschuld beweisen sollten. Aber sowohl die Hormonforscher Wolfgang Oelkers und Horst Lübbert als auch der Gynäkologe Prof. Kurt Wurster stellten zwar fest, daß ein erhöhter Testosteronwert möglicherweise durch die Krankheitsgeschichte erklärbar sei, wollten aber Hormonzufuhr von außen nicht ausschließen. Gegenüber der FAZ erklärte Pippig, daß ihr „Hormonhaushalt völlig durcheinander“ gewesen sei in der fraglichen Zeit, vor allem weil sie kurz zuvor nach 15 Jahren die Pille abgesetzt hatte.

Der erste Befund wurde vom Labor in Kreischa erstellt, das dann aber um Amtshilfe bei den Kölner Kollegen nachfragte. Mit dem nur dort durchführbaren Isotopen-Verfahren konnte zweifelsfrei festgestellt werden, daß die erhöhten Werte bei Pippig nicht auf körpereigene Vorgänge zurückzuführen sind. Sagt jedenfalls Prof. Wilhelm Schänzer, Leiter des Kölner Labors. Das Isotopen-Verfahren könnte noch zum Problem werden, da es zwar in Nagano vom Internationalen Olympischen Komittee (IOC) eingesetzt wurde, aber vom Internationalen Leichtathletik-Verband IAAF bislang noch nicht als Mindeststandard anerkannt ist. Nach Ansicht des DLV besteht allerdings kein Zweifel daran, daß das Verfahren wissenschaftlich aussagekräftig ist. „Uns liegt eine Mitteilung der medizinischen Kommission des IOC vor“, erklärte DLV-Vizepräsident und Rechtsexperte Clemens Prokop der taz, „das Isotopenverfahren im Dezember als Standardverfahren einzuführen.“ Dann müssen alle anerkannten Doping-Labors die 300.000 Mark teure Apparatur anschaffen. Prokop räumt ein, daß „theoretisch ein Gutachter-Streit“ möglich ist, und wenn „Frau Pippig nachweisen könnte, das Verfahren sei wissenschaftlich nicht gesichert, würden sich ihre Chancen natürlich verbessern“.

Gestern meldeten sich bereits zwei Anwälte von Pippig. Der erhöhte TE-Quotient sei auf krankheitsbedingte „erhebliche hormonelle Regulationsstörungen“ zurückzuführen. Auch seien die Urinproben feucht und schon teilweise ausgelaufen in Kreischa angekommen. Laborleiter Müller zeigte sich auf Nachfrage erzürnt: „Das ist doch nicht mehr seriös, was die Anwälte da machen.“ Einer der Anwälte war bei der Öffnung der B-Probe sogar anwesend: „Denen ist das doch seit dem Sommer alles bekannt.“ Zwar war eine der Proben tatsächlich leicht ausgelaufen, aber die nur einmal verwendbaren Container, in denen die Proben transportiert werden, waren beide offensichtlich nicht manipuliert. Außerdem waren sowohl A- als auch B-Probe identisch, was bei einer Manipulation nicht möglich gewesen wäre.

Bei einer wahrscheinlich erscheinenden Verurteilung droht dem Laufunternehmen Pippig/ Hogen der Verlust der wirtschaftlichen Grundlage. Beim Hauptsponsor Nike erfuhr man erst gestern vom Verdacht gegen die Angestellte, der man jährlich geschätzt eine halbe Million Dollar überweist. Pressesprecher Mathias Wieland erklärte das „tiefste Bedauern“ des Konzerns, wollte aber abwarten, denn „bis zum gültigen Beschluß des Rechtsausschusses gilt auch für uns die Unschuldsvermutung“. Sollte sich der Verdacht bestätigen, kann sich Nike problemlos von der Athletin trennen, „denn in allen unseren Verträgen gibt es einen Passus, der das Vertragsverhältnis bei einem positiven Doping-Befund beendet“. Durch die verstärkten Kontrollen befinde sich die Leichtathletik immerhin, so Wieland, „generell weltweit auf einem richtigen Weg“.