: Ausweitung durch die Hintertür
EU-Kommission präsentiert Vorschläge zur Sanierung des Haushalts. Eventuell geringerer Beitrag für Deutschland. Agrar wieder mehr Ländersache ■ Aus Brüssel Peter Sennekamp
Deutschland, Europas wirtschaftlich mächtigstes Land, soll nicht mehr „Nettozahler der EU“ sein. Gestern legte die Europäische Kommission in Brüssel Pläne für die Neuverteilung des rund 170 Milliarden Mark umfassenden EU-Haushalts, den sogenannten „Eigenmittelbericht“, vor. Danach soll Deutschlands EU-Beitrag im Vergleich zu den anderen Staaten künftig geringer ausfallen.
Deutschland überweist jährlich etwa 22 Milliarden Mark mehr in die gemeinsame Kasse, als es zurückerhält. Die abgewählte Bonner Kohl-Regierung hatte mehrfach die Senkung der deutschen Beiträge an Brüssel gefordert. Deutschland dürfe nicht „Zahlmeister Europas“ sein, hatte auch Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) regelmäßig provoziert. Profitieren wird nun die zukünftige Berliner Schröder- Regierung von den aktuellen Vorschlägen der EU-Kommission.
Doch mit der Neuverteilung der EU-Beiträge lehnt sich die Kommission weit aus dem Fenster, denn das größte Kuchenstück im EU-Haushalt müßte neu geschnitten werden: Direkte Agrarsubventionen für Getreide, Rindfleisch und Milch, ebenso wie für Exporte landwirtschaftlicher Produkte in Höhe von über 84 Milliarden Mark pro Jahr (zirka 45 Prozent des EU- Gesamthaushalts) und die indirekten Subventionen – rund sechs Milliarden Mark (etwa zum Bau landwirtschaftlicher Gebäude) – sollen nur noch teilweise aus EU-Mitteln finanziert werden.
Wieviel Chancen die Vorschläge haben, ist schwer einzuschätzen. Einerseits muß der Haushalt mit dem Beitritt neuer Mitglieder aus Osteuropa reformiert werden. Andererseits müßten auch Länder wie Großbritannien, die in Zukunft mehr zahlen müßten, diesen Änderungen erst zustimmen.
In einem Strategiepapier berechnet die EU-Kommission teilweise sogar eine 50prozentige Reduzierung der EU-Hilfen für das Jahr 2002. Dafür sollen die nationalen Regierungen zukünftig Subventionsgelder in gleicher Höhe drauflegen, Europäische Subventionen wurden damit stärker von nationaler Kofinanzierung abhängig. Umstritten ist darum der Kommissionsvorschlag.
Detlef Samland (SPD), Vorsitzender im Haushaltsausschuß des Europäischen Parlaments, hofft zwar, daß Deutschland mit der Kofinanzierung um „ca. 3,5 bis 4 Milliarden Mark“ entlastet wird. Die Grünen im Europaparlament, ebenso wie im Bundestag wiesen jedoch auf schlechte Erfahrungen mit der Kofinanzierung hin. Denn bereits vor zwei Jahren kassierten bayerische Bauern „kofinanzierte“ EU-Subventionen, weil die Landesregierung ihren Anteil drauflegte. Niedersachsens Bauern dagegen entgingen 85 Millionen Mark sogenannter Beihilfen, weil das Land eine Zuzahlung verweigerte. Mitgliedsstaaten der EU wie Griechenland und Portugal könnten möglicherweise ganz auf Zuzahlungen an die Bauern verzichten, um ihre Haushalte zu entlasten. Für ihre Bauern könnten die EU-Hilfen dadurch entfallen.
Der Agrarsprecher der Grünen im Europäischen Parlament (EP), Friedrich Wilhelm Graefe zu Baringdorf, will darum einer Kofinanzierung erst zustimmen, „wenn auf europäischer und deutscher Ebene Verzerrungen landwirtschaftlicher Hilfen gesetzlich ausgeschlossen sind“. Auch dürfe die Kofinanzierung 25 Prozent nicht überschreiten. Deutschland könnte sonst zum Nettoempfängerland werden, vermutet Baringdorf.
Die Haushaltssprecherin der Grünen im EP, Edith Müller, befürwortet dagegen die Kommissionsvorschläge: „Eine Nettoentlastung für Deutschland von 2,4 Milliarden Mark“ sei möglich. Gleichzeitig wendet sie sich gegen Pläne des Haushaltssprechers Samland: Geld, das in Brüssel mit der Kofinanzierung eingespart werden könnte, dürfe nicht einfach für „Forschungspolitik“ und „Transeuropäische Netze“ ausgegeben werden, so Müller.
Erste Anzeichen deuten darauf hin, daß mit der neuen Haushaltsstrategie der Kommission die EU- Gesamtausgaben sogar weiter wachsen: Der Ex-Generaldirektor der EU-Kommission, Cecchini, hat vorgeschlagen, die frei werdenden EU-Subventionen zukünftig anderweitig auszugeben – zum Beispiel in Osteuropa. Dort liegt das Pro-Kopf-Einkommen nur bei einem Drittel des Unionsdurchschnitts.
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