Entschädigungslose Mehrarbeit

Internes Papier der Schulbehörde fordert von Lehrern Überstunden gegen Unterrichtsausfall. GEW und Lehrerkammer sind empört  ■ Von Judith Weber

Mathe und Englisch müssen sein. Förderunterricht, Schüleraustausch und Projektgruppen zwar auch, aber nicht so dringend, findet die Hamburger Schulbehörde. Sie bastelt an einer „Richtlinie zur Vermeidung von Unterrichtsausfall“, nach der LehrerInnen auf Verfügungs- und Teilungsstunden verzichten müssen, um Vertretung in den klassischen Fächern, den sogenannten Grundstunden, zu machen. Ein entsprechendes Papier, das im November in der Deputation der Schulbehörde diskutiert werden soll, liegt der taz hamburg vor.

Wird in einer neunten Klasse ein Chemielehrer krank, müßte demnach auch die Englischlehrerin einspringen, die gerade mit sprachunbegabten SiebtkläßlerInnen eine zusätzliche Stunde Vokabeln paukt. Dieses Vorhaben trifft besonders die Gesamtschulen. Sie setzen stark auf sogenannte Teilungsstunden, die es erlauben, Klassen in Gruppen zu trennen und nach Leistung zu fördern.

Erst vor ein paar Monaten hatten sich die Gesamtschulen erfolgreich gegen ein derartiges Vorhaben der Behörde für Schule, Jugend und Berufsbildung (BSJB) gewehrt. SPD-Senatorin Rosemarie Raab wollte damals aus Spargründen die Teilungsstunden zusammenstreichen. „Jetzt wird dieser Punkt durch die Hintertür wieder hereingebracht“, kritisierte gestern Anna Ammonn, Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). „Zukunftsorientierte Vorhaben wie Schüleraustausch oder Projektunterricht sind zwangsläufig mit Einschränkungen des traditionellen Unterrichts verbunden.“

Die BSJB arbeitet in die andere Richtung: Schulen können nach dem Richtlinienentwurf freiwillig weniger LehrerInnen für Teilungs- und Förderstunden einstellen. Statt dessen bekommen sie Geld, mit dem sich unter anderem VertretungslehrerInnen bezahlen lassen. Prima eigneten sich „arbeitsuchende oder pensionierte Lehrkräfte“ sowie StudentInnen „mit dem 1. Staatsexamen“. Deren Lehraufträge wären „wegen ihrer Geringfügigkeit sozialversicherungsfrei“. Außerdem möchte die Behörde, daß die LehrerInnen Arbeitszeitkonten anlegen. Sie sollen Buch darüber führen, wann eine ihrer Stunden ausgefallen ist und wann sie eine Kollegin vertreten haben. Ein Lehrer dürfte so lange zur Vertretung verdonnert werden, bis sein Konto auf Null ist – bis zu vier Stunden wöchentlich, manchmal auch sechs.

„Eine Mehrarbeitsrichtlinie“ sei das Papier, schimpfte gestern Margret Eisele-Becker, Vorsitzende der Lehrerkammer. Denn auch mit ausgeglichener Zeit-Bilanz sind LehrerInnen vorm Einspringen nicht gefeit: Die Schulleitung darf Zusatzarbeit anordnen. „Lehrkräfte sind verpflichtet, monatlich bis zu drei Stunden Mehrarbeit entschädigungslos zu leisten“, so steht es in dem Richtlinienentwurf. „Überschreitet die Mehrarbeit diesen Umfang, ist sie vorrangig durch Freizeit auszugleichen.“ Was letztlich wohl bedeutet, daß wiederum Stunden ausfallen – und vertreten werden müssen.