■ Normalzeit: Es ist kaum zu glauben...
Aber trotz ins Enorme anschwellender Bilderflut geraten immer mehr Fotografen unter die Italo-Restaurant-Schwelle – mit ihren Honoraren. Einerseits schicken die deutschen Medien nämlich immer öfter einfach ihre Praktikanten zum Knipsen raus, und andererseits drücken türkische und arabische Wirte die italienischen zunehmend in das obere Preissegment. Infolgedessen sehen sich bereits viele Fotografen nach lohnenderer Beschäftigung um – oder hadern heftig mit ihren Agenturen bzw. Restaurants. Daß ein junger Berliner Fotograf in einem sehr teuren italienischen Restaurant ausstellt, ist deswegen bereits ein „Ereignis“ für sich!
Ich rede von Lorenz Kienzle und seiner Fotoausstellung „Sabiner Berge“ im Schöneberger „Aroma“ (Hochkirchstraße 8). Dieses Lokal ist an der italienischen „Slow Food“-Bewegung beteiligt, zu der auch eine gleichnamige Zeitschrift gehört. Lorenz Kienzle gestaltete gerade deren Titelbild mit einem Foto, außerdem noch das Cover des neuen Romans von Italo Calvino: „Schlafende Sabiner Hunde“. 1985 machte er seine ersten Aufnahmen. 1987 wurde er – gleich nach dem Abitur – Assistent eines Modefotografen. Dann leistete er seinen Zivildienst – als Fotograf in einem Münchner Kinderkrankenhaus – ab: „Da mußte ich z.B. die Trennung von siamesischen Zwillingen fotografieren, wie die Leber halbiert wurde usw.“ 1990 bewarb er sich im römischen Istituto Superiore di Fotografia – und zwar so überzeugend, daß sie ihn gleich als Assistenten beschäftigten und er die Kursgebühren sparte. 1991 zog er nach Berlin und absolvierte eine Fotografen-Ausbildung im Lette- Verein.
Einige machten dort ihre Abschlußarbeit über Narva, von Lorenz Kienzle gibt es über das abgewickelte Glühlampenwerk eine Dia-Show. Danach widmete er sich der Hutfabrik in Guben, die vor kurzem endgültig in Konkurs ging, sowie dem ebenfalls schwer gebeutelten Lausitzer Braunkohlerevier und speziell dem Dorf Horno, dessen Zerstörung gerade beschlossen wurde. Seine Arbeiten über das Braunkohlerevier entstanden im Rahmen eines „Agfa-Workshops“ in Herten.
In Berlin hat er inzwischen ein Atelier, das er sich mit dem Narva- und Tankstellen-Fotografen Ansgar Koch teilt sowie mit der mexikanischen Fotografin Christina Piza, die eine zeitlang kubanische Musiker porträtierte. Das Thema „Sabiner Berge“ (nördlich von Rom) beschäftigte Lorenz Kienzle bereits seit 1988 – nachdem er dort mehrmals Urlaub gemacht hatte und mit einer in der Nähe wohnenden Bäuerin sowie ihren zwei unverheirateten Söhnen näher bekannt wurde. Er fotografierte sie mit einer großen Plattenkamera (Sinar). Die Bilder, die er auch schon in der Galerie „Photo Fusion“ in Brixton ausstellte, kann man sich so ähnlich vorstellen wie John Berger das Haute-Savoie-Leben in seiner Bauern-Trilogie beschrieb. Eher an den jungen Piere Paolo Pasolini würde dagegen vielleicht der ältere Ulf Erdmann Ziegler, als Fotokritiker, denken. Dafür spricht, daß Kienzle zwei Aufnahmen – vom Schlachten eines Schweines – auf Drängen des „Aroma“-Wirtes wieder abhängen mußte.
Schon seit längerem arbeitet er gelegentlich für Die Zeit: Ihretwegen schaffte er sich extra ein Handy an. Die taz illustrierte einmal eine Literaturausgabe mit seinen Fotos, auch für ihren diesjährigen Sommerloch-Fotoroman „Die Prinzessin vom Prinzenbad“ war Kienzle verantwortlich. Seit einigen Jahren verbringt er seinen Urlaub mit einer Frau und einem behinderten Kind an der ligurischen Küste. Sein nächstes Fotoprojekt heißt denn auch „Terra da Mare“. Vielleicht hat daran die edle italienische taz- Kantine „Sale e Tabacchi“ Interesse, dorthin hatte ich Lorenz Kienzle unlängst einmal zum Essen eingeladen – nicht ahnend, daß er bereits derartig gut im Geschäft ist. Aber hinterher ist man ja immer klüger. Helmut Höge
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