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Barbies mit sprießenden Knetpilzen

Beim Lesben-Film-Fest im Arsenal gibt es weibliche Symbolik, phallische Freuden und Sujets, die frei von Betroffenheit sind. Auch Gender und Queer Studies haben sich in der Filmproduktion niedergeschlagen  ■ Von Cristina Nord

Syds Welt ist geordnet: Da ist das weitläufige New Yorker Loft, der nette, vielleicht etwas fade Freund und eine Stelle als Juniorredakteurin in einem Hochglanzmagazin. Doch als sie ihre Nachbarin Lucy kennenlernt, gerät das geregelte Leben durcheinander. Eine Treppe höher begegnet die ehrgeizige College-Absolventin einer abgehalfterten Boheme, die sich mit Heroinkonsum, müden Parties und im Sande verlaufenden sexuellen Avancen die Tage vertreibt.

Aus dieser Ausgangskonstellation entwickelt Regisseurin Lisa Cholodenko in „High Art“ eine Vierecksgeschichte, bei der nicht nur Syds blasser Freund und Lucys drogensüchtige Freundin auf der Strecke bleiben. „Mit dir ist endlich wieder so etwas wie Ambition in mein Leben getreten“, flüstert Lucy Syd kurz vorm ersten Kuß noch hoffnungsvoll ins Ohr, „du weißt gar nicht, wie sehr ich das vermißt habe.“ Grund zu hoffen soll es nicht lange geben.

Mit „High Art“ eröffnete gestern abend das Lesben-Film-Festival-Berlin, das bis zum kommenden Dienstag im Schöneberger Arsenal-Kino stattfinden wird. Zum achten Mal haben die ehrenamtlich tätigen Organisatorinnen ein umfassendes Programm zusammengestellt, das Filme mit lesbischer Thematik und Arbeiten lesbischer Filmemacherinnnen vorstellen will. Wie in den Vorjahren gibt es neben einigen Spielfilmen vor allem Experimentelles und Dokumentarisches. Dabei reicht ein flüchtiger Blick ins Programmheft, um zu sehen, daß sich die in Mode gekommenen Gender und Queer Studies auch in der Filmproduktion niederschlagen. Unter dem Titel „Transgender. Sea of Possibilities“ beschäftigt sich eine ganze Programmschiene mit Menschen, die aus dem Rahmen der Zweigeschlechtlichkeit herausfallen.

Ob es die Hermaphroditen sind, die in C. Jochums „Intersexed“ von ihrem Leben erzählen, oder ob sich Del LaGrace Volcano in ihrem Video „Pansexual Public Porn“ in schwule Cruising-Gebiete vorwagt: Was männlich, was weiblich, was lesbisch, schwul oder heterosexuell ist, läßt sich in beiden Fällen nicht mehr mit Bestimmtheit sagen.

Ganz ähnlich verhält es sich in einem Kurzfilmprogramm, das unter dem vor wenigen Jahren wohl kaum denkbaren Motto „Phallic Pleasures“ steht: Darin gibt es Barbiepuppen, denen Knetpilze aus der Lende sprießen (Utako Kaguchis „A Dandelion“), hermaphroditische Regenwürmer (Roz Mortimers „Wormcharmer“) oder auch Lilienblüten, deren Stempel in eindeutiger Symbolik hervorspringen (Sarah Pucills „Swollen Stigma“). In Hans Scheirls krudem, gut anderthalbstündigen Experiment „Dandy Dust“ gerät der Körper ohnehin zum Schlachtfeld, an dem nichts mehr ist, wie es einmal war. Geschlechtszuordnungen werden überflüssig, Anleihen aus dem Splatter-Genre sorgen dafür, daß jede Vorstellung von festen Konturen, von Integrität in weite Ferne rückt: Hier ist die Verletzung, ist die Entgrenzung Programm. „Dandy Dust“ zeigt aber auch, daß manche Filmemacherin ihrem Publikum zu viel zumutet. Denn der visuelle und akustische Overkill des Films mündet rasch in Leerlauf. Und gerade wo es experimentell zugehen will, herrscht mitunter Phantasielosigkeit. Da häufen sich die Arbeiten, die Stummfilme zitieren, häufen sich die Vampirinnen, die Rosen und die blutigen Münder: Ist das nun weibliche Symbolik oder schlicht Klischee?

Um so erfreulicher ist da, daß mit „The Brandon Teena Story“ und „Habitual Sadness 2“ zwei Dokumentationen gezeigt werden, die sich ohne falsches Pathos schwierigen Themen nähern. „The Brandon Teena Story“ rekonstruiert die letzten Tage eines jungen Menschen, der sich tief in der US- amerikanischen Provinz als Mann ausgab und für diese „Lüge“ mit seinem Leben büßen mußte. Obwohl sich aus diesem Stoff ein Märtyrer schneidern ließe, verzichten die beiden Regisseurinnen Susan Muska und Gréta Olafsdóttir auf tränentreibende Effekte. Dasselbe gilt für Young-Yoo Byuns „Habitual Sadness 2“. Die südkoreanische Regisseurin porträtiert eine Gruppe älterer Frauen, die während des Zweiten Weltkriegs von japanischen Soldaten zur Prostitution gezwungen wurden. Auch hier gelingt, was „The Brandon Teena Story“ so eindrucksvoll vorführt: Trotz des emotionsgeladenen Sujets öffnet sich ein Raum jenseits der Betroffenheit.

Lesben-Film-Festival-Berlin, bis 13.10. im Kino Arsenal, Welser Str. 25, Schöneberg

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