: Ready for Download
Im Internet liegen Tausende von Hausarbeiten, Klausuren und Referaten bereit
Cheating Factories, übersetzt Schummelmaschinen, nennt man in den USA die Art Angebote, die auch im deutschsprachigen Internet seit etwa einem Jahr immer beliebter werden: Online-Archive, die Hausarbeiten, Referate, Klausuraufgaben und Abschlußarbeiten meist kostenlos anbieten.
Auf den ersten Blick sehen Hausarbeiten.de, Student Online und Co aus wie die Erfüllung der sehnlichsten Studententräume: Faulpelze drucken sich schnell die passende Arbeit aus und haben schon den Schein in der Tasche. Mühevoll erstellte Seminararbeiten pflichtbewußter Studenten verstauben nicht länger in den Schubladen der Professoren, sondern finden durch die Publikation im weltweiten Datennetz Leser.
Student Online (http:// www.student-online.net/) bietet derzeit in Zusammenarbeit mit der Mitfahrzentrale Hitch-Hiker etwa 300 Hausarbeiten von Studenten aus 47 Studiengängen und 2.500 Referate von Schülern. Der Service wurde im vergangenen Wintersemester von Claus Hirssig und Ulrich Setzermann, beide Studenten an der Fachhochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin, ins Leben gerufen. „Die Idee dazu entstand aus unserer Erfahrung, daß arbeitsaufwendige Semesterarbeiten in der Versenkung verschwanden. Außerdem gibt es zu vielen Themen kaum aktuelle Literatur“, sagt Setzermann. Im Netz stießen sie auf private Homepages, auf denen die Arbeiten von Studenten veröffentlicht waren. Schließlich kamen sie auf die Idee, diese Arbeiten zu sammeln und kostenlos ins Netz zu stellen. „Das sind ja eigentlich die klassischen wissenschaftlichen Recherchemethoden, nur auf das Medium Internet ausgedehnt“, meint Ulrich Setzermann.
Im März dieses Jahres hat Student Online von Hausarbeiten.de (http://www.hausarbeiten.de) Konkurrenz bekommen. Mehr als 1.300 Arbeiten liegen zum Download bereit. Das fächerübergreifende Archiv ist offen für wertvolle Information und soll sich nach dem Wunsch der Betreiber zu einer Art Online-Bibliothek entwickeln. Auch einige Professoren haben ihre Klausuren, Skripte und Aufsätze zur Verfügung gestellt.
Ausschließlich politikwissenschaftliche Arbeiten sammelt das Osi-Archiv (http://userpage.fuberlin.de/hstyle/osiarchiv/). Klausuren für Medizin-Studenten gibt es unter http://rzaix340.rz.unileipzig.de/med95fog
Die Fachschaft Jura der HU bietet Hausarbeiten unter der Adresse http://www.rewi.huberlin.de/Delphi/ Tief in die Tasche greifen müssen StudentInnen nur bei Unifuchs (http://home.tonline.de/home/Unifuchs/ unifuchs.htm.) Hausarbeiten gibt's hier für 80 bis 90 Mark, Diplomarbeiten kosten mehr als 100 Mark.
Vielen Dozenten bereiten solche Archive Kopfzerbrechen: „Wenn man sich Arbeiten aus dem Internet holen kann, werden künftig Themen gestellt werden müssen, die da etwa lauten: Wie beurteilen Sie die unter xyz im Netz stehenden Arbeiten?“ sagt Gert Audring von der HU.
Die großen deutschen Hausarbeitensammlungen wollen ihr Schummelimage loswerden und bemühen sich, als wertvolle Wissensarchive auch von den Lehrenden angenommen zu werden. Grundsatz: Informieren, nicht kopieren. Die Info-Seite von Hausarbeiten.de weist potentielle Schummler deutlich auf die drohenden Konsequenzen hin: „Mit dem Kopieren fremder Arbeiten macht ihr euch strafbar! Außerdem besteht die Gefahr einer Exmatrikulation!“
Siegfried Weichlein, Geschichtswissenschaftler an der HU, findet die Hausarbeiten-Archive prinzipiell eine gute Idee: „Das ist sicher gut als Beispiel, von dem man lernen kann, wenn man das wissenschaftliche Handwerkszeug beherrscht.“ Bei Studenten im Grundstudium befürchtet er Verführungseffekte: „Die methodischen, inhaltlichen und handwerklichen Fallstricke der Sache werden dann leicht überbügelt. Wissenschaft ist nicht Fernsehen. Das ist schon harte Arbeit.“ Die Qualität der Arbeiten sei zudem noch relativ durchmischt. „Wer bürgt da für die Qualität?“
Im Gegensatz zu vielen anderen Angeboten achten die Macher von Student Online durchaus auf qualitative Mindeststandards: Nur etwa zwanzig Prozent der eingesandten Arbeiten kommen ins Archiv. Abgelehnt werden alle Arbeiten, die zu kurz oder vom Aufbau her nicht geeignet sind. Die Grundregeln des wissenschaftlichen Arbeitens sind Plficht. Hausarbeiten.de und Student Online mit ihren Pinnwänden und Chats verstehen sich als Austauschforen. So begreifen sie auch die meisten Studenten.
Ganz so einfach scheint das Übernehmen fremder Arbeiten ohnehin nicht zu sein. In BWL etwa werden fast nie zwei Themen genau gleich gestellt, meint der Göttinger BWL-Student Frieder Tobisch. Zudem habe doch jeder seinen eigenen Scheibstil, der sich in den Arbeiten niederschlage. Auch inhaltlich würde die Schummelei auffallen, meint Historiker Weichlein. Wenn Studenten anfingen, mit Versatzstücken zu arbeiten, könne das dazu führen, daß die Arbeiten nicht mehr gedanklich konsistent seien. Wichtig sei, daß die Studenten eine kritische Urteilskraft entwickeln. „Das muß auch in Zeiten des Internet möglich sein.“ Sabrina Ortmann
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