Unter Männern

Frauen trainieren Fußballer – nicht in der Bundesliga. Mit Antje Klee könnte sich das ändern. In Freiburg hat sie von Volker Finke gelernt, wie man Männer spielen läßt  ■ Von Anika Geisler

Mit glänzenden Augen starren fünf Mädchen auf den Rasenplatz am Dreisamstadion, ziehen ihre Miniröcke gerade und treten in ihren Plateauschuhen nervös von einem Fuß auf den anderen. Keine dreißig Meter entfernt wärmen sich ihre Idole vom SC Freiburg auf. Nur ein Metallgeländer trennt die Mädchen von den Männern ihrer Träume: Günes, Weißhaupt und Buric. Und doch bleiben die Fußballer, mit deren Postern sie ihre Kinderzimmertapeten überklebt haben, unerreichbar fern. Die Mädchen sind neidisch – neidisch auf die junge Frau im Trainingsanzug, die mitten auf dem Rasen steht. Die mit Trainer Volker Finke das Feld abschreitet und Markierungshütchen verteilt, neben ihm stehen bleibt, die Arme verschränkt und seine Anweisungen an die Spieler verfolgt.

Antje Klee ist jeden Tag mitten unter Kickern, denn diese Frau ist Fußball-Lehrerin. Am letzten Freitag hat sie die höchste Stufe der Trainerausbildung erklommen und hätte nun – rein theoretisch – die Möglichkeit, eine Bundesligamannschaft zu trainieren.

Nach dem Training hat Antje Klee den SC-Trainingsanzug, die Fußballschuhe und die dicken Stutzen gegen Ringel-T-Shirt, Shorts und Badeschlappen eingetauscht. Nachdrücklich sagt sie: „Im Fußball muß man sich als Frau Akzeptanz verschaffen – durch Qualität.“

Das erste Mal stand Antje Klee mit neun Jahren auf einem Fußballplatz. Da durfte sie die Jungs aus der Nachbarschaft begleiten, mußte anfangs aber als Auswechselspielerin am Rand bleiben. Die Wartezeit vertrieb sie sich mit einem Extraball, übte unermüdlich das Oben halten, wie im Fußballerjargon das Jonglieren des Balles mit beiden Füßen heißt. „Irgendwann konnte ich das ganz gut“, erzählt sie. Irgendwann durfte sie dann endlich bei den Jungen mitkicken – damals hatte sie sich die Akzeptanz durch Qualität zum ersten Mal erarbeitet.

Sechs Wochen lang hospitierte die gebürtige Villingerin beim Bundesligaverein SC Freiburg, löcherte Trainer Volker Finke und Co-Trainer Achim Sarstedt mit Fragen. Zu Besprechungen ging sie mit in die Mannschaftskabine, in die Welt von Männerschweiß, herben Duschgels und entzündungslindernden Salben. Das gehört auch zur Fußball-Lehrer-Ausbildung, die Antje Klee im April an der Kölner Sporthochschule begonnen und vergangene Woche mit der Gesamtnote 3 abgeschlossen hat. Für Antje Klee, die von Beruf Leiterin einer Kindertagesstätte in Bonn ist, bedeutete das sechs Monate unbezahlten Urlaub für einen Kurs, der zudem noch 6.000 Mark kostet. Dort ackerte sie von morgens bis abends und fiel selten vor Mitternacht ins Bett. Das hieß auch: noch einmal im Leben auf das Sponsoring der Eltern angewiesen zu sein, denn die 700 Mark Bafög im Monat reichten nicht aus.

Mit 23 anderen saß sie im Trainerlehrgang in Köln, mit 29 war sie wieder die Jüngste – und wieder die einzige Frau. Sie hat sich daran gewöhnt, allein unter Männern zu sein. „Das war schon bei den Schiedsrichter- und den anderen Trainerkursen so“, sagt Klee. „Allerdings wären ein paar Frauen mehr in dem Metier nicht schlecht, dann gäb's auch noch andere Themen außer Fußball.“

Fast alle ihre Kollegen im Kölner Lehrgang waren Ex-Profis: Jörg Schmadtke, der gefeierter Torwart beim SC Freiburg war, Holger Fach, der bei 1860 München und Düsseldorf spielte. „Wenn die richtig loslegen, sehe ich natürlich keinen Ball. Technisch bin ich zwar gut, aber eine Frau kann niemals wie ein Profimann Fußball spielen“, sagt sie, die früher als Mittelfeldspielerin und als Libero eingesetzt war. Von ihren Kollegen, die sie zur Lehrgangsprecherin gewählt haben, habe niemand Starallüren. „Bei uns gibt es keine Extrawürste. Wir haben alle das gleiche Ziel und ziehen dafür am selben Strang – wir wollen diesen Schein haben.“ Bei der Weltmeisterschaft saß der Kurs geschlossen bei jedem Spiel vor dem Fernseher. Männerdomäne Fußball? Ganz und gar nicht – im Lehrgang geht es um Professionalität und Sachverstand, nicht um die Geschlechterfrage. Deshalb wird Antje Klee als gleichberechtigte Partnerin geschätzt.

Die Ausbildung zum Fußball- Lehrer gibt es seit 1947, der erste Lehrgangsleiter war Sepp Herberger. Antje Klee lernte Technik und Taktik von Gero Bisanz, dem ehemaligen Trainer des Frauennationalteams. Außerdem standen Pädagogik, Gymnastik, Sportrecht und Vereinsmanagement auf dem Stundenplan. In Sportmedizin mußte sie sich mit dem Zitronensäurezyklus quälen: „Das war am Anfang genauso schwer wie Kaffeesatzlesen.“

Vor ihr haben in Deutschland nur acht Frauen den Fußball-Lehrer-Schein gemacht. 1985 war Tina Theune-Meyer die erste Frau, die diese höchste Trainerlizenz bekam; seit 1996 ist sie Trainerin der DFB-Fußballerinnen. Monika Staab, die vierte Frau in der Riege der Fußball-Lehrerinnen, sagte vor Jahren in einem Interview der Frankfurter Rundschau, sie könne sich nicht vorstellen, eine Männermannschaft zu trainieren – dafür gebe es im Frauenfußball immer noch zu viele Defizite.

Antje Klee hat dagegen ein nüchternes Verhältnis zum Thema Frauen und Fußball. „Ich habe Fußball gespielt und Herrenmannschaften trainiert, weil es mir Spaß machte – und nicht, um den Männern etwas zu beweisen oder die Emanzipation voranzutreiben“, sagt sie. Schon mit 18 Jahren trainierte sie die Jungs der F-Jugend im DJK Villingen, und Jahre später, nach ihrem Umzug nach Bonn, stiegen die Männer des SV Beuel 06 unter ihrem Coaching von der Bezirksliga in die Landesliga auf.

Die Trainerin stammt aus einer gänzlich unsportlichen Familie. Der Vater, ein Manager, die Mutter und die drei Geschwister unterstützten aber ihre Sportbegeisterung. Mit dreizehn begann sie im Fußballmädchenteam des BSV Schwenningen, mit 25 mußte sie ihre Spielerkarriere beenden. Die Knie schmerzten, das rechte wurde operiert: ein Knorpelschaden. Für Antje Klee brach aber keine Welt zusammen, denn längst hatte sie ihre Ausbildung zur Schiedsrichterin begonnen und trainierte Kinder- und Jugendteams. „Irgendwann wäre alles drei gleichzeitig sowieso zuviel geworden“, sagt sie. „Man kann schließlich nicht am Wochenende selber spielen und bei anderen Mannschaften pfeifen.“

Ihre Trainerausbildung verfolgte sie mit Disziplin: Mit 22 hatte sie die B-Lizenz in der Tasche, vier Jahre später die A-Lizenz in Hennef am Mittelrhein bestanden. „Antje ist zielstrebig ihren Weg von Schein zu Schein hochgestiefelt“, sagt Volker Finke. Der SC-Trainer ist voll des Lobes: „Sie ist fußballverrückt – im positiven Sinne.“ Er sei überzeugt davon, daß Klee einmal leidenschaftlich als Trainerin arbeiten werde. Auch Michael Frontzeck, Freiburger Mannschaftskapitän, findet, daß sie „fachlich gut drauf“ ist.

Zu Beginn ihrer Trainerarbeit ist es Antje Klee schwer gefallen, einem Spieler zu sagen, daß er nicht aufgestellt worden sei. „Ich habe dann mit ihm gelitten“, erzählt sie. Aber gerade die „Weichheit“ einer Frau und das feine Gespür für Zwischenmenschliches mache aus einer Trainerin – im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen – oft den besseren Psychologen. Was ist mit einem Stürmer los, der das Tor nicht mehr trifft? Wie klappt die Integration ausländischer Spieler?

In psychologischen Fragen hat Antje Klee von Trainer Volker Finke viel lernen können. „Er vereint fachliche und soziale Kompetenz“, sagt sie. „Er kümmert sich um die Spieler, will wissen, wie es ihnen geht.“ Außerdem erkläre er seine Anweisungen im Training – weil Bälle nicht nur mit Füßen, sondern auch mit Verstand getreten werden sollen. Es hat sich herausgestellt, daß der SC Freiburg eine gute Wahl für ein Praktikum war. „Einige meiner Lehrgangskollegen mußten hinter dem Zaun bei den Zuschauern stehen, und ab und zu kam der Trainer vorbei und grüßte“, erzählt Klee. Sie weiß die „familiäre Atmosphäre“ beim SC Freiburg zu schätzen, weiß, daß das in Bundesligavereinen keine Selbstverständlichkeit ist.

Antje Klee wirkt selbstbewußt, aber nicht überheblich. Als Frau müsse man eine ganze Portion Selbstvertrauen mitbringen. „Wer unsicher ist, wird die Arbeit psychisch nicht durchhalten“, sagt sie. Nicht die Spieler seien das Problem. „Wenn die sehen, daß man was kann, ist der Trainer eben der Trainer – egal, ob Mann oder Frau“, sagt sie. Viel mehr das Umfeld habe Schwierigkeiten mit einer Frau, die Männer trainiert.

Der Auftritt von Frauen in der Männerwelt verführt heutzutage immer noch einige zu den wildesten Phantasien. Eine Beziehung ist daran zerbrochen – nicht nur, aber auch wegen des Fußballs. Damals brodelte die Gerüchteküche: Warum darf der Fußballer immer spielen? Warum versteht sie sich so gut mit dem Manager? „Ruhig bleiben“, verrät Antje Klee ihre Devise. „Ruhig, distanziert und korrekt.“ Auch wenn ihr das fälschlicherweise manchmal als Arroganz ausgelegt wird. Und auch wenn das Ruhigbleiben schwer fällt, zum Beispiel wenn Zuschauer ihr obszöne Sprüche zuzischeln oder ein anonymer Anrufer dem Freund riet: „Paß mal besser auf deine Freundin auf.“

Nach den Abschlußprüfungen in der letzten Woche ist Klee erst einmal in ihre Kindertagesstätte zurückgekehrt. Die junge Frau bleibt pragmatisch, gibt sich keinen Träumereien hin, was ihre Zukunft anbelangt. „Auf lange Frist gesehen werden es wahrscheinlich zwei oder drei von unserem Lehrgang schaffen, einmal Bundesligamannschaften zu trainieren“, sagt sie und weiß, daß es sehr unwahrscheinlich ist, daß sie dazugehören wird. Über einen neuen Trainerjob hat sie sich „noch keine Gedanken gemacht“, denn es ist momentan auch „ein blöder Zeitpunkt, so mitten in der Saison“. Aber sie kann sich vorstellen, erst einmal abends nach der Arbeit zu trainieren – am liebsten Männer.