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Istanbul literarisch

Istanbul ist zuallererst ein Gedicht, kein Roman. Das bekannteste stammt von Orhan Veli Kanik und beginnt mit den Zeilen „Ich höre Istanbul / mit geschlossenen Augen...“ Der 35jährige schrieb dies 1949, ein Jahr vor seinem frühen Tod.

Vier Jahre zuvor hatte sein Zeitgenosse und Freund Sait Faik das Buch „Manche Menschen“ veröffentlicht, einen Roman, der das Leben der Fischer, fliegenden Händler und Tagelöhner Istanbuls und der vorgelagerten Marmara-Inseln nachzeichnet. Unter dem Titel „Ein Lastkahn namens Leben“ liegt es, als einziges Werk des türkischen Erzählers, auch in deutscher Übersetzung vor (Unionsverlag, 1996).

Der Schriftsteller Sait Faik, der in Grenoble studierte und ab 1936 mit Kurzgeschichten an die Öffentlichkeit trat, gehört neben dem acht Jahre jüngeren Orhan Veli zu den Begründern der modernen türkischen Literatur, und wie Orhan Veli war auch Sait Faik ein Bohemien, ganz der Großstadt Istanbul verbunden. Die Generation der beiden sollte später als die „leidende“ bezeichnet werden, weil sie das Unbehagen an den radikalen Umwälzungen der frühen Republikjahre zum Ausdruck brachte.

Einer späteren Generation dagegen gehört der 1922 geborene Romancier Yașar Kemal an. Er, der vor allem als Chronist der anatolischen Tiefebene, der Çukurova, berühmt geworden ist, hat in den siebziger Jahren auch Istanbul zum Handlungsort seiner Erzählungen erkoren. In „Auch die Vögel sind fort“ schildert Kemal das Leben der Vogelfänger, die im Außenbezirk von Florya leben und ihre Beute auf dem Vogelbasar bei der Neuen Moschee versetzen, als ein Abbild einer neuen Istanbuler Realität – die der am Stadtrand Gestrandeten (Unionsverlag 1990).

Diese Welt war Kemal selbst nicht fremd. In seiner Autobiographie beschreibt er, wie er, Anfang der fünfziger Jahre, fast mittellos aus Adana kommend, zunächst im Gülhanepark nächtigte und sich als Gesucheschreiber durchzuschlagen versuchte, bevor er einen Job bei der renommierten Tageszeitung Cumhuriyet angeboten bekam („Der Baum des Narren“, Unionsverlag 1992).

In der aktuellen Belletristik darf Orhan Pamuk wohl als der passionierteste Istanbulliterat gelten. In der rätselhaften Handlung seiner Romane „Das schwarze Buch“ (Fischer Taschenbuch 1997) und „Das neue Leben“ (Hanser 1998) spielt die Stadt Istanbul stets die Hauptrolle – ein Mysterium, in dem sich die Menschen auf der Suche nacheinander verirren.

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